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Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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herein. Der Raum wirkte so fremd, dass mir die Worte fehlten.
    »Das also ist Mr. Blakes Zuhause«, sagte ich.
    »Hast du ihn verlassen?«
    In Wahrheit hatte ich Mr. Brown wohl eher verloren als verlassen, doch das wollte ich nicht laut sagen. Ich fühlte eine bleischwere Trauer in meiner Brust, die mich zu überwältigen drohte.
    »Spuke bei mir«, sagte er und zuckte auf eine so leichte, unbeschwerte Art mit den Schultern, dass ich sofort das Gefühl hatte, mich selbst viel zu ernst zu nehmen.
    »Sei nicht albern«, ermahnte ich ihn.
    Er nahm seine Büchertasche vom Schreibtischstuhl und bedeutete mir, mich zu setzen.
    »Ich bin jetzt dein Bewahrer, richtig?«, fragte er.
    »Vermutlich.« Mein Bewahrer. Mein James. »Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll«, gestand ich. »Es erscheint nicht angemessen, dass …« Ich stockte.
    »Ich weiß auch nicht viel«, sagte James, »aber ich weiß, dass wir zusammen sein sollen, du und ich. Das weiß ich ganz sicher.«
    Zusammen, hatte er gesagt. Ich wollte wissen, was genau er damit meinte.
    »Wie könnten wir nicht?«, fragte er, während er auf der zerknitterten braunen Bettdecke saß. »Es ist, als wären wir die einzigen zwei Exemplare einer Art oder die einzigen zwei Menschen auf der Welt, die dieselbe Sprache sprechen. Wie könnten wir da nicht beieinander sein?«
    Seine Worte berührten mich. Die Letzten einer Art. Es lag etwas Sinnliches darin.
    »Ich war noch nie bei einem Bewahrer, der …« Ich zögerte. »Nun, der sich meiner bewusst war.«
    Ein Lächeln breitete sich auf James’ Gesicht aus.
    »Du wirst meiner müde werden«, sagte ich, plötzlich voller Furcht, gehasst zu werden. »Das könnte ich nicht ertragen.«
    »Miss Helen«, lachte er, »Sie belieben zu scherzen.« Doch dann schien er über meine Worte nachzudenken. »Du könntest meiner überdrüssig werden«, sagte er. »Das ist viel wahrscheinlicher. Hast du davor Angst?«
    »Nein, davor nicht«, erwiderte ich.
    Die Tür schlug auf, ein Strom rücksichtsloser Musik flutete ins Zimmer. Eine Frau stolperte herein, einen Mann im Schlepptau, der einen Arm um ihre Taille legte und eine Hand unter ihr Oberteil schob. Sie trug einen kurzen schwarzen Rock und eine schwarze, hauchdünne Spitzenbluse. Sie zwinkerte James zu. »Hi, Billy.«
    »Hallo, Rayna«, antwortete James. Er klang auf einmal sehr müde.
    Der Mann sah ihr über die Schulter und runzelte bei James’ Anblick die Stirn, seine Hand immer noch auf der Brust der Frau. »Verdammt.«
    »Ich muss doch sehr bitten«, sagte James.
    »Entschuldigung«, lachte die Frau. »Wir können woanders hingehen.«
    »Und wohin?«, fragte der Mann. Er trug einen Ohrring und Piratenbart.
    »Was ist mit dem Bad?«, schlug die Frau vor, während sie die Zimmertür schloss.
    »Bitte entschuldige«, sagte James errötend. Er ging zur Tür und legte die Kette vor. Seufzend kehrte er zum Bett zurück.
    »Wer gehört zu deiner Familie?«, erkundigte ich mich.
    »Nur der Mann, der mit mir gesprochen hat, als wir ins Haus gekommen sind. Das ist Billys Bruder Mitch. Ich vermute, dass unsere Mutter tot und unser Vater im Gefängnis ist, aber Mitch spricht nicht darüber.«
    »Ich verstehe.« Sie schienen ein trostloses Leben zu führen, doch wer war ich, darüber zu richten? Ich war nicht mehr als Dunstschwaden. »Das tut mir leid«, fügte ich hinzu.
    Er lächelte. »Schon okay.« Dann sah er sich im Zimmer um. »Letzte Woche habe ich versucht, die Bilder abzuhängen und das Chaos hier zu beseitigen, doch Mitch dachte, ich hätte einen Nervenzusammenbruch und war so aufgeregt, dass ich alles wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt habe.«
    Ich musste lachen. James’ Fröhlichkeit war ansteckend.
    »Im Übrigen habe ich einen geheimen Schatz.« Er zog eine Kiste unter seinem Bett hervor und öffnete sie. »Versprich mir, niemandem etwas davon zu erzählen.«
    »Versprochen.«
    Er nahm ein Stück nach dem anderen heraus und legte es auf das Bett. Ein Buch über Kunstgeschichte mit einem »$ 1 , 00 «-Aufkleber. Eine angestoßene Zeitschrift über Fotografie. Ein zerfleddertes Taschenbuch mit Kurzgeschichten. Ein eselsohriges Exemplar mit Gedichten von Robert Frost. Zuletzt ein Tagebuch mit einer Feder als Lesezeichen und einem auberginefarbenen Bleistift, der in dem Gummiband um den Einband steckte. Ich lächelte. Das Gefühl, was alles ein Schatz sein konnte, war mir vertraut.
    »Ich würde gern meine Lieblingsmusik hereinschmuggeln, doch als Billy beinahe

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