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Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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Herzen.
    Er blickte mir tief in die Augen.
    »Wenn die Dinge anders lägen, würde ich dich mit Leidenschaft umwerben. Du würdest mich nicht von deiner Verandaschaukel herunterbekommen.«
    Ich musste lachen, doch ich war auch verletzt. Ich spürte, dass er dabei war, mich zu verlassen. Ich kannte das Gefühl aus der Zeit, bevor ich Licht war. Ein Mann sagte einer Frau etwas Schmeichelndes, doch seine wahre Botschaft war eine andere. Und was sollte das überhaupt heißen, dass er mich umwerben würde, wenn er könnte?
    »Ich bin ein Feigling«, seufzte James und sah zurück auf das Spielfeld, wo ein anderer Junge erfolglos versuchte, einen weißen Ball aus einem roten Plastikständer zu fischen. Seine Fans riefen ihm aufmunternde Worte zu.
    »Ich habe nicht den Mut, ohne dich zu sein, jetzt, da ich dich endlich bei mir habe«, sagte James.
    »Willst du damit sagen, du würdest mich verlassen, wenn du nur mehr Rückgrat hättest?« Ich dachte, er würde lachen, doch James blieb todernst.
    »Bitte sag mir, was du willst«, fuhr er fort. »Ich werde tun, was du von mir verlangst. Wenn du gerne bei mir bist, dann vergiss, was ich gerade gesagt habe. Du verdienst es, glücklich zu sein. Was soll ich tun?«
    Schick mich nicht weg, dachte ich.
    Wieder sah er mich an. »Was möchtest du?«
    »Ich möchte einen Apfel schmecken«, sagte ich. Und deine Lippen, fügte ich in Gedanken hinzu.
    Beifall brandete auf, als der weiße Ball über das Gras hüpfte und der kleine Junge, angefeuert von den Jubelrufen seiner Eltern, hastig zum ersten Base rannte. James war blass geworden, die rote Prellung wirkte wie Make-up in seinem Gesicht.
    »Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte ich.
    »Glaubst du, ich habe seinen Körper gestohlen?«
    »Du sagtest, du hättest ihn gerettet«, erwiderte ich. »Du hast ihn nicht vertrieben.«
    »Willst du jemanden retten?«, fragte er, ohne jede Emotion in der Stimme. Er wartete, sah mich nicht an.
    Nie war mir etwas Vergleichbares in den Sinn gekommen, nicht einmal, als ich Mr. Browns Buchseiten hatte umblättern, oder von James’ Apfel hatte beißen wollen. Es ergab keinen Sinn. Es war, als würde ein Ritter zu einem Küchenmädchen sagen: »Willst du auch einen Drachen erschlagen?«
    »Ich könnte es nicht«, antwortete ich.
    »Was, wenn du es könntest?«, fragte er.
    Meine Angst baute sich schier übermächtig vor mir auf, doch die Vorstellung, ihn tatsächlich berühren zu können, Haut an Haut …
    »Ich will nicht sein wie du.«
    Er lachte und warf mir einen Blick von der Seite zu. »Nicht wie ich?«
    »Ich will kein Feigling sein.«
    »Dann werde ich dir helfen«, sagte er.
    »Erzähl mir, wie es war«, bat ich ihn. Er musterte mich sanft. »Billys Körper zu retten, meine ich.«
    Die Jubelrufe und das Lachen wurden lauter, als die Kinder ihre Helme abnahmen und zu ihren Eltern liefen.
    »Wie bist du in ihn hineingelangt?«, wollte ich wissen. Etwas in meiner Stimme überraschte und erregte James. Ich sah, wie der Puls an seinem Hals schneller schlug.
    »Ich habe mich in ihn hineingelegt und so lange gekämpft, bis ich sein Fleisch gefühlt habe«, erzählte er. »In mir drin.«
    »Kannst du ihn verlassen, wenn du es willst?«
    Sein Blick war entschuldigend. »Nein, das ist der Haken. Ich muss bleiben, bis der Körper stirbt oder ein anderer ihn beansprucht.«
    »Ein anderer?« Ich war schockiert. »Jemand wie wir?«
    »Oder Billy, wenn sein Geist immer noch irgendwo am Leben ist.«
    »Oder etwas Böses«, fügte ich hinzu.
    Dazu sagte er nichts.
    »Woher weißt du, dass du seinen Körper nicht verlassen kannst?«, fragte ich.
    »Ich habe es versucht, nach dem vierten Tag.« Er sah aus, als wollte er den Versuch nicht näher beschreiben. »Es war wie der Schmerz, den ich spürte, wenn ich meinen Spukort verlassen wollte«, erklärte er. »Nur schlimmer.«
     
    Mit einem Mal waren wir wieder allein. Der Schrei eines Vogels durchschnitt meine Gedanken wie ein Schwert.
    »Ich muss in mich gehen«, sagte ich und ließ mich unter unsere Bank sinken. Von hier aus betrachtete ich James, wie er über den Rasen lief, und stellte mir vor, dass er Billy auf dieselbe Weise beobachtet hatte, bevor er von seinem Körper Besitz ergriff.

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    Kapitel 6
    W ie eine Fahne, fliegend und doch gefangen, schwebte ich hinter ihm her und ließ mich dann stundenlang neben einem vermodernden Softball auf dem Dach des Hauses in der Amelia Street nieder, bis ich Mitchs Auto um die Ecke biegen sah, das sich in

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