Silberlinge
scharfen Blick zu.
Beschwichtigend hob ich beide Hände. »Tut mir leid. Ich stehe etwas unter Druck.«
Shiro überlegte einen Moment, dann fragte er: »Würde Michael ihm helfen?«
»Mein Mann ist manchmal ein Idiot«, rief Charity aus der Vorratskammer herüber.
Shiro nickte. »Dann werde ich Ihnen an seiner Stelle sekundieren, Mister Dresden. Haben Sie schon die Waffen gewählt?«
»Äh, noch nicht.«
»Wo soll das Treffen mit dem Unparteiischen und dem Sekundanten Ihres Gegners stattfinden?«
Ich zückte die Visitenkarte, die mir das Archiv gegeben hatte. »Keine Ahnung. Man hat mir nur gesagt, mein Sekundant solle diese Nummer anrufen.«
Ohne ein weiteres Wort nahm Shiro die Karte und wollte nach nebenan gehen, um zu telefonieren.
Ich legte ihm die Hand auf den Arm. »Sie müssen sich nicht meinetwegen in Gefahr begeben, Sie kennen mich ja kaum.«
»Michael würde Ihnen helfen, das reicht mir.«
Es war eine große Erleichterung, dass mich der alte Ritter unterstützte, aber irgendwie hatte ich deswegen auch Schuldgefühle. Viel zu oft waren Menschen meinetwegen verletzt worden. Michael und ich hatten gemeinsam so einiges durchgestanden und immer aufeinander aufgepasst. Deshalb fiel es mir nicht schwer, ihn um Hilfe zu bitten. Das Gleiche von einem Fremden anzunehmen, ob er nun ein Ritter vom Kreuz war oder nicht, belastete mein Gewissen. Vielleicht war es auch nur falscher Stolz.
Nur was sollte ich sonst tun?
Seufzend nickte ich. »Ich will wirklich niemanden in meine Schwierigkeiten hineinziehen.«
»Warten Sie – wo habe ich das schon mal gehört?«, schaltete sich Charity ein.
Shiro lächelte zugleich väterlich und amüsiert. »Ich rufe jetzt an.«
Ich wartete, während Shiro im Nebenzimmer, das als Arbeitszimmer der Familie und als Büro für Michaels Baufirma diente, den Anruf erledigte. Charity blieb in der Küche und hievte einen riesigen Crockpot auf die Anrichte. Dann holte sie eine Tonne Gemüse, Fleisch und ein Gewürzregal und hackte alles klein, ohne auch nur ein Wort mit mir zu sprechen.
Sie bewegte sich mit der Präzision eines Menschen, der seine Aufgabe sehr genau kennt und so routiniert ist, dass er immer schon über die Schritte nachdenkt, die erst in zwanzig Minuten folgen werden. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass sie die Möhren etwas energischer als sonst zerteilte. Als der Eintopf halb fertig war, begann sie bereits, eine weitere Mahlzeit vorzubereiten, dieses Mal Hühnchen mit Reis und anderen gesunden Dingen, die ich nur selten dreidimensional zu sehen bekam.
Ich rang eine Weile mit mir, dann wusch ich mir die Hände und half ihr beim Gemüseputzen.
Charity beäugte mich mit gerunzelter Stirn, sagte jedoch nichts. Nach einer Weile holte sie noch mehr Gemüse, stapelte es vor mir und kippte in den Crockpot, was ich schon geschnitten hatte. Schließlich seufzte sie, öffnete eine Dose Cola und stellte sie mir hin.
»Ich mache mir Sorgen um ihn«, gab sie zu.
Ich nickte und konzentrierte mich auf die Gurken.
»Ich weiß nicht einmal, wann er heute Abend nach Hause kommt.«
»Gut, dass Sie den Crockpot haben«, antwortete ich.
»Ich weiß nicht, was ich ohne Michael tun würde. Von den Kindern ganz zu schweigen. Ich wäre völlig verloren.«
Was soll’s. Ein wenig wohlmeinende, wenngleich irrationale Beruhigung kostete mich nichts. Ich trank einen Schluck Cola. »Ihm wird nichts passieren, er kann auf sich aufpassen. Außerdem sind ja Shiro und Sanya da.«
»Er wurde dreimal verletzt.«
»Dreimal?«
»Dreimal, und jedes Mal waren Sie dabei.«
»Dann ist es also meine Schuld.« Nun bearbeitete ich die Zutaten, als wären sie jugendliche Opfer in einem billigen Horrorfilm. »Ich verstehe.«
Ihr Gesicht konnte ich nicht beobachten, aber ihre Stimme klang vor allem müde. »Es geht hier nicht um Schuldzuweisungen. Wichtig ist nur, dass immer, wenn Sie in der Nähe sind, mein Mann und der Vater meiner Kinder verletzt wird.«
Das Messer rutschte ab, und ich büßte ein Stück Haut von der Kuppe meines Zeigefingers ein. »Aua!«, rief ich. Ich drehte an der Spüle das kalte Wasser auf und hielt den Finger darunter. Es ist erstaunlich, wie stark eine kleine Schnittwunde bluten kann. Charity gab mir ein Papiertuch, und ich untersuchte die Verletzung gründlich, ehe ich den Finger einwickelte. Groß war die Wunde nicht, dafür aber äußerst schmerzhaft. Dann beobachtete ich, wie mein Blut das Papier verfärbte. »Warum haben Sie mich dann nicht beseitigt?«,
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