Silbermuschel
Es schmeckte schal und lauwarm. Schweiß flöß mir über die Augen, sämtliche Gegenstände verschwammen zu Trugbildern. Am Ende der Straße waren alle Häuser verbrannt. Die Bodenhitze war sogar durch meine Sandalen zu spüren.
Ich stapfte auf die Trümmerhaufen zu, als ich mitten auf der Straße einen Fuchs sah. Und stehenblieb.
Der Fuchs war kein Phantasiegebilde, ich sah ihn wirklich und wahrhaftig.
Seine Erscheinung in diesem Augenblick läßt sich durchaus logisch erklären. Die Auswirkungen der Atombombe hatten auch die Tierwelt in den umliegenden Wäldern in Aufruhr versetzt. Es mag sein, daß der Orientierungssinn des Fuchses durch die Strahlungen Schaden genommen hatte; vielleicht hatte er auch nur Angst und suchte die Nähe der Menschen. Ich blinzelte ein paarmal, strich mir den Schweiß aus den Augen. Der Fuchs saß vor einem Trümmerfeld, als ob er dort Wache hielt. Das Gelände war übersät mit verbrannten Zweigen, zerbrochenen Ziegeln und halbversengten Mattenresten. An einigen Stellen stieg noch Rauch aus 344
dem Schutt. Entwurzelte Bäume lagen da in wirrem Durcheinander, ein paar standen noch; die Stämme waren auf einer Seite völlig verkohlt, während die andere unversehrt war. Einer dieser Bäume stand dicht an der Straße. Welke Blätter hingen noch an den Zweigen; ich sah, daß es ein Kastanienbaum war.
Der Fuchs saß ganz ruhig auf den Hinterläufen und starrte mich an. Genau in dieser Haltung werden die Füchse als Statuen vor unseren Schreinen dargestellt.
Ich war von seinem Anblick so gefesselt, daß ich mich einige Atemzüge lang nicht von der Stelle rührte. Schließlich trat ich vorsichtig näher und streckte die Hand aus. Ich meinte, der Fuchs sei zahm, und wollte ihn streicheln. Da huschte das Tier wie ein schmaler roter Schatten über die Straße und verschwand unter den Wurzeln des Kastanienbaums. Fast gleichzeitig zuckte ein Lichtwirbel auf, gefolgt von einem Getöse, so daß ich den Eindruck hatte, mein Trommelfell explodiere. Ein roter Feuervorhang fegte über die Straße, streute Splitter, Scherben und Bretter durch die Luft und sprang auf den Kastanienbaum über. In Windeseile kletterten die Flammen den Stamm hinauf. Dicker Rauch entrollte sich in Schwaden. Was noch von der Baumkrone übrig blieb, zersprühte in einem Flammenfächer. Es gab einen zischenden Knall, und der Stamm krachte wie eine Granate auseinander.
Was war passiert? Ich nehme an, ein schwelendes Feuer hatte sich langsam durch den Schutt gefressen. Irgendwo mußte die Glut eine Stelle unter den Trümmern erreicht haben, in der sich eine größere Menge Kohlengas angesammelt hatte. So oder ähnlich muß es wohl gewesen sein. Wäre ich nur eine Minute später an dem Baum vorbeigekommen, hätte mich die Explosion in Stückke gerissen.
Dem Fuchs verdanke ich mein Leben. Doch ich stand nur da, nicht eigentlich erstaunt; ich glaubte lediglich, daß der Fuchs das Feuer ausgelöst hatte, und wollte wissen, was jetzt noch passieren würde. Durch das Prasseln der Flammen hörte ich, wie eine Stimme meinen Namen rief. Ich vernahm keuchende Atemzüge, das hastige Schleifen von Strohsandalen. Schon packte mich Isami, zerrte mich von den Flammen weg. Sie war aufgewacht, hatte voller Schrecken bemerkt, daß ich nicht mehr im Zimmer war. Sie war aus dem Haus gestürzt, den Weg entlanggelaufen und gerade rechtzeitig gekommen, um alles mit anzusehen. Jetzt brach sie in Tränen aus, schloß mich fassungslos schluchzend in die Arme, vergewisserte sich, daß ich unverletzt war. Ich jedoch beachtete sie kaum. Daß ich ja eigentlich meine Mutter suchte, hatte ich auch längst vergessen. Ich wollte mit dem Fuchs spielen und sträubte mich mit lautem Geschrei, als Isami mich fortzog.«
Ken hielt wieder inne. Er schmiegte sein Gesicht an das meine, das naß vor Tränen war. Unsere Lippen berührten sich flüchtig; dann sprach er ruhig weiter.
»Isami hat dieses Erlebnis nie vergessen und später eine Geschichte daraus gemacht. So kam es, daß eine Begebenheit aus meinem Leben auch deines beeinflußte. Es ist seltsam, wie solche Dinge entstehen. Wie aber kam es, daß Isamis Gedankenwelt mit der deinen zusammentraf? Daß ein Erlebnis aus meiner Kindheit für dich zur Vision wurde, die deine Kraft stärkte? Dafür, glaube ich, gibt 345
es keine Antwort.«
Ich rieb meine feuchte Wange an seiner Hand.
»Ich glaube, wir wissen diese Dinge gemeinsam. Aber du vermagst sie zu deuten, sie beim Namen zu nennen. Alles wird dann einfach
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