Silbernes Band (German Edition)
schlug er halbwegs begeistert vor. „Du möchtest lieber nicht dahin fahren“, stellte sie fest. „Es ist ein Risiko, das ich lieber auslassen möchte. Durchdrehende Pferde sind ganz schön gefährlich. Ich möchte auf keinen Fall, dass du oder jemand anders verletzt wird.“ – „Bei uns im Stalldorf geht’s doch auch.“ – „Dort hab ich mehr Platz um auszuweichen.“ – „Soll ich allein hinfahren?“ – „Auf keinen Fall“, seufzte er, „Ich such mir ein ruhiges Plätzchen, wo die Pferde mich nicht wittern können.“
Pfirsich und Sommerbrise
Zürich, 10. Dezember 2010
„Sieh dir das an, die Aussicht auf den See ist echt eine Wucht!“ Rúna stand am geöffneten Fenster in der obersten Etage eines stilvollen Fünfsternehauses und blickte über den mit Schneewolken verhängten Zürichsee. „Bei schönem Wetter sieht man bestimmt die Berge.“ – „Es freut mich, dass dir unsere Unterkunft gefällt.“ – „Ziemlich flott.“ Sie liess anerkennend den Blick übers elegant eingerichtete Wohnzimmer der Suite gleiten. Filigrane Edelholzmöbel, bequeme Sofas, weicher Teppichboden und sogar ein Kamin. „Wenn es um stilvolles Wohnen geht, entsprichst du voll und ganz dem Klischee“, stichelte sie augenzwinkernd. „Ich finde es völlig übertrieben“, murmelte Heiðar hinter seinem Stadtplan hervor. Fionn verschwand achselzuckend in seinem Schlafzimmer, um seine Sachen auszupacken.
Gute Idee, fand Rúna, schloss das Fenster und wollte ins zweite Schlafzimmer hinübergehen, wo ihr Koffer auf sie wartete. „Hast du Lust, das Landesmuseum zu besuchen?“ Sie wurde im Vorbeigehen festgehalten und auf seinen Schoss gezogen. „Das Musem liegt am Hauptbahnhof“, er tippte auf die Karte, „anschliessend können wir uns die Altstadt ansehen.“ – „Kann man da Einkaufen? Ich wollte mich nach Weihnachtsgeschenken umsehen.“ – „Am Limmatquai und im Niederdorf gibt es jede Menge Geschäfte. Wenn wir die Limmat überqueren, gelangen wir automatisch an die Bahnhofstrasse, da kannst du shoppen, bis du umfällst.“ – „Nicht, wenn du meine Tüten trägst. Zum Glück bist du härter im Nehmen als Papa. Der kriegt spätestens nach einer halben Stunde eine Krise.“ – „Du vergisst, mit wem du’s zu tun hast.“ – „Halbwesen hin oder her, du bist dennoch ein Mann.“ – „Und du bist ein freches Mädchen. Ich sollte dich auskitzeln.“ Sie kreischte schon mal präventiv und versuchte sich zu befreien. Das mit dem Kitzeln liess er bleiben, küsste dafür die Mulde neben ihrem Ohr. „Wenn du es schaffst, mich beim Shopping zu stressen, brauche ich anschliessend ein entspannendes Bad.“ Die schamlose Anspielung auf die grosszügige Badewanne liess sie leicht erröten, schliesslich hörte Fionn mit. Der kam just in diesem Augenblick auf leisen Sohlen daher, trug jetzt einen tadellosen dunkelgrauen Anzug mit blütenweissem Hemd und blauer Krawatte, dazu eine dunkle Hornbrille, was ihn glatt zehn Jahre älter wirken liess. „Ist das Fensterglas?“, wunderte sich Rúna. „Natürlich, oder glaubst du tatsächlich, dass die Sehschärfe von Unsterblichen mit zunehmendem Alter nachlässt.“ – „Keine Ahnung, immerhin bist du 330 Jahre alt.“ – „Aus diesem Grund solltest du mir etwas Respekt entgegenbringen.“ – „Die Brille steht dir ausgezeichnet, sie macht dich alt und würdevoll. War das respektvoll genug?“ – „Deine Gefährtin ist heute etwas übermütig, pass auf sie auf“, mahnte Fionn grinsend und hob lässig die Hand. „Mein Finanzberater erwartet mich. Bis später, meine Lieben.“
Die Züricher Filiale der Hanse-Bank war in einem imposanten Backsteinhaus untergebracht. Fionn meldete sich über die Sprechanlage und wurde umgehend eingelassen. „Guten Tag, Herr Bradshaw. Herr Breiteler wird sie gleich empfangen.“
Die freundliche Empfangsdame roch nach Pfirsich und einer lauen Sommerbrise. Fionn konnte seinen Blick kaum abwenden von der zarten Kehle, die besonders gut sichtbar war, da sie ihr braunes Haar hochgesteckt hatte. Sein langer, unergründlicher Blick liess sie erröten und brachte ihren Puls auf Trab. In Gefahr war sie aber nicht, Menschen, mit denen er geschäftliche Beziehungen pflegte, waren tabu, da war Fionn strikt. Auch wenn er das jetzt gerade ein wenig bedauerte.
„Bitte sehr.“ Saskia Tobler, so hiess der verlockende Pfirsich, führte ihn zu einem Sitzungszimmer, wo ihn sein Finanzberater, Kurt Breiteler bereits erwartete.
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