Silbernes Band (German Edition)
darüber reden?“ - „Ich hab jetzt einfach keine Lust, mit dir zu schlafen.“ Sie rückte wieder von ihm ab und zog mit Nachdruck die Bettdecke über den Kopf. Vermutlich hatte sie vor dem Einschlafen längere Zeit darüber gebrütet und sich allmählich in etwas hineingesteigert. Heiðar seufzte leise und gab vor, einschlafen zu wollen. Vielleicht konnten sie morgen darüber sprechen.
„Fionn sagt, ich muss versuchen, damit zurechtzukommen.“ Die gedämpfte Stimme unter der Bettdecke klang traurig. „Ich weiss, dass es nicht einfach ist für dich, und ich kann nicht verlangen, dass du das nachvollziehen kannst. Heute ist mir bewusst geworden, wie sehr mir die Jagd gefehlt hat. Ich fühle mich jetzt gut und ausgeglichen, und ich gebe zu, dass es mir Spass gemacht hat, durch den Wald zu laufen, das Wild aufzuspüren und zu jagen.“ Rúna hatte einen dicken Kloss im Hals. Trotzdem versuchte sie ihre Gefühle in Worte zu fassen: „In den letzten Wochen waren wir fast wie ein normales Paar. Du trinkst dein Blut, wenn ich es nicht sehe. Ich wollte einfach glauben, dass wir so sein können wie alle anderen.“ Heiðar atmete geräuschvoll aus. „Mir ging es genauso. Ich dachte auch, dass wir dank dem Spenderblut ganz normal leben können. Aber ich kann den Jagdtrieb nicht ständig unterdrücken, es würde bedeuten, meine unsterbliche Seite zu verleugnen. Der Trieb könnte plötzlich mit aller Macht hervorbrechen, wenn ich aufs Jagen verzichte, darum muss ich ihn in einem gewissen Rahmen ausleben. Das musst du akzeptieren, und ich bitte dich um dein Verständnis. Du hast zu Fionn gesagt, dass du es ehrlicher findest, selbst zu jagen. Hast du das vielleicht doch nicht so gemeint?“
Typisch Fionn! Warum musste er auch immer alles ausplaudern! Sie hörte das leise Klicken der Nachttischlampe, dann wurde es heller im Raum. Er zog vorsichtig die Bettdecke von ihrem Gesicht, streifte dabei sachte ihre Wange. Mühsam schluckte sie die aufkommenden Tränen hinunter: „Doch, das meine ich Ernst, es ist ehrlicher, als sein Fleisch im Supermarkt zu kaufen. Ich habe mir vorgestellt, wie du draussen im Wald bist und Tiere tötest. Wie du ihr Blut trinkst. Und gleich danach kommst du zu mir und möchtest mit mir schlafen. Vielleicht siehst du mich auch so, wie deine Opfer, weil du noch im Jagdfieber bist...“ Ihr entwischten zwei Tränen. Heiðar war sprachlos, kein Wunder, dass sie sich so quälte.
Rúna spürte, wie sich sein Blick bedeutungsvoll auf sie heftete. Zögerlich drehte sie sich nach ihm um. Er war unheimlich ernst, versuchte aber zu lächeln, als ihre Blicke sich trafen. „Ich denke niemals, dass du eines meiner Opfer bist, auch wenn ich dein Blut begehre. Du bist meine Gefährtin, ich liebe und respektiere dich. Ich habe dich vermisst, als ich weg war, und wollte einfach nur bei dir sein. Hoffte, dass du in ähnlicher Stimmung bist. Es tut mir leid, wenn ich diesen Eindruck bei dir erweckt habe.“ Er berührte sanft ihre Wangen und wischte die Tränen fort. Sie warf sich in seine Arme, barg ihr Gesicht an seiner Brust und liess sich festhalten.
Sie wollte es verstehen, um künftigen Missverständnissen vorzubeugen. „Was fühlst du, wenn du jagst?“, fragte sie leise an seiner Brust. Er überlegte, wieviel er ihr zumuten konnte. Am besten, er antwortete offen und ehrlich: „Du weisst, wie gross die Anspannung und die Unruhe werden, wenn ich zu lange nicht gejagt habe. Der Moment, wenn ich mich entschieden habe zu jagen, bringt eine gewisse Erleichterung. Wenn ich losrenne, lasse ich meine Kräfte fliessen, und alle meine Sinne sind auf die Jagd fokussiert. Es ist ein wunderbares Gefühl, meinen Körper zu spüren, im Einklang mit der Natur. Dieses Erlebnis suche ich ja auch sonst regelmässig, ohne dabei zu jagen. Ich spüre ein enormes Kribbeln, sobald ich auf eine Fährte gestossen bin. Es macht einfach nur Spass, meine Sinne anzustrengen, um ihr folgen zu können. Manchmal verfolge ich mehrere Tiere, dann muss ich mir eines aussuchen. Bevor ich das tue, prüfe ich nochmals gründlich die Umgebung. Wenn die Luft rein ist, treffe ich meine Wahl und starte die Jagd endgültig. Von da gibt es kein Zurück mehr. Ich will dann um jeden Preis das Blut meines Opfers haben. Es ist ein unheimlicher Drang, es zu Ende zu bringen. In dieser Phase verspüre ich nochmals einen Adrenalinschub, und mein Blutdurst wird beinahe unerträglich. Ich verfolge mein Opfer, in der Gewissheit, dass es keine Chance hat.
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