Silbernes Band (German Edition)
hatte beschlossen, nichts weiter zu erzählen. „Morgen Abend könnt ihr euch selbst ein Bild machen. Ich habe noch zu arbeiten, wenn ihr mich bitte entschuldigen wollt.“
Er erhob sich, wünschte ihnen viel Spass beim Bummeln und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück, um einen verschlüsselten Bericht über seinen letzten Besuch bei der Stockholmer Blutbank aufzusetzen.
Als das erledigt war, ging er seine Post durch. Fionn öffnete den ersten Umschlag und erfasste mit einem prüfenden Blick den Inhalt des Schreibens. Es ging um fair gehandelten Kakao, dessen Nachfrage das Angebot bei weitem überstieg. Der Verfasser schlug vor, den Anbau von Fair-Trade-Kakao zu fördern, um künftige Engpässe weitgehend zu vermeiden und alle Abnehmer zufriedenzustellen. Fionn schüttelte missbilligend den Kopf. Der verschlüsselte Antrag hatte mit Fairness so wenig gemeinsam wie ein Vampir mit dem Weihnachtsmann. Einmal mehr ging es um das leidige Problem der seltenen Blutgruppen, die zwangsläufig nur in kleinen Mengen erhältlich waren. Man wagte einen weiteren Vorstoss, wonach Träger der Blutgruppen AB Negativ und Null Negativ gezielt von der Notwendigkeit regelmässiger Blutspenden überzeugt werden sollten. Das Thema war schon oft im Rat diskutiert worden. Die Mehrheit war strikte dagegen, Sterbliche durch einen Bann zur Blutspende zu zwingen. Für Fionn waren die potenziellen Spender Geschäftspartner und somit respektvoll zu behandeln. Er sah nicht ein, weshalb man den Umsatz seltener Blutgruppen fördern sollte, Sterbliche assen schliesslich auch nicht jeden Tag Trüffel und Kaviar. Die Blutbanken waren keine Feinkostgeschäfte, eher ein qualitätsbewusster Online-Supermarkt. Ihre Aufgabe war es, die Versorgung sämtlicher Mitglieder der Europäischen Gesellschaft der Unsterblichen auf fortschrittliche Weise sicherzustellen. Ein Service, den die meisten zu schätzen wussten, sie ernährten sich ohne zu Murren von den weitverbreiteten Blutgruppen.
Der ungehörige Antrag ärgerte ihn. Er wusste ganz genau, welche Unsterblichen dahinter steckten. Ein kleines Grüppchen dekadenter Snobs, die sich ausschliesslich von rarem Blut ernährten. Den Verfasser des Schreibens durfte man getrost dazuzählen, er orderte auffallend oft die Blutgruppe Null Negativ. Arrogante Säcke! Warum jagten sie das seltene Blut nicht selbst? Weil es mühselig und zeitraubend war, unangenehme Durststrecken liessen sich kaum vermeiden. Lieber kritisierten sie das magere Angebot und die hohen Preise der Gesellschaft. Dabei stand es ihnen frei, einen eigenen Premium-Lieferdienst aufzuziehen, was bedeutete, dass sie arbeiten und sich die Finger schmutzig machen mussten. Undenkbar für diese verwöhnten Kreaturen, die schon ihr sterbliches Dasein in Müssiggang und Luxus verbracht hatten.
Fionn riss den Brief in kleine Fetzen, warf alles in den Müll und loggte sich ins Netzwerk der Europäischen Gesellschaft der Unsterblichen ein. Der Antragssteller hatte um einen Termin gebeten, den er ihm wohl oder übel gewähren musste, aber nicht, solange Rúna und Heiðar in London waren. Die beiden reisten am 28. Dezember nach Hause, während er bis Abschluss der Umbauarbeiten in London bleiben wollte. Fionn vereinbarte per E-Mail ein Treffen am 1. Januar.
Stille Nacht – traurige Nacht
Kurz vor Sieben kehrten Rúna und Heiðar nach Mayfair zurück. Nach isländischen Massstäben wäre das reichlich spät, dort war Heiligabend, 18 Uhr ein fixer Termin, der unbedingt eingehalten werden musste, aber hier in London hielten sie sich an die englischen Sitten. Bescherung war erst morgen früh.
Heiðar witterte prüfend, als sie die Lobby betraten. Für den Fall, dass Fionns Freund schon früher eingetrudelt war, wollte er gewappnet sein. Er stellte erleichtert fest, dass es bloss nach Pfefferminze, Graupelschauer, Begonien und Ahorn roch, ergänzt durch einen unangenehmen Hauch Fussschweiss und eine Prise Mottenkugeln. Da war kein Unsterblicher in der Lobby, auch nicht im Aufzug. Trotzdem schnupperte er nochmals eingehend, als sie aus dem Lift traten. Könnte ja sein, dass Fionns Freund die Fassade hochgeklettert war und sich durchs Fenster Zugang zur obersten Etage verschafft hatte. Blödsinn - es stand natürlich kein Vampir auf dem Flur, dafür wogte ihnen ein verführerischer Essensduft entgegen. Sie blickten sich an. „Bist du auch so hungrig?“
In der Küche zischte und brutzelte es fröhlich. Fionn stand am Herd und briet Lammkoteletts. „Du
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