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Silbernes Band (German Edition)

Silbernes Band (German Edition)

Titel: Silbernes Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Jaedig
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war, hatte ich einen besten Freund. Pálmi und ich gingen gemeinsam zur Schule. Lange Zeit waren wir unzertrennlich, haben Tag für Tag zusammengesteckt. Nach dem Unterricht streiften wir durch die Natur und hatten immer viel Spass dabei. Mit Vierzehn/Fünfzehn veränderte sich Pálmi. Er wollte nicht mehr ständig mit mir allein herumhängen. Es zog ihn unter die Leute, wo er etwas erleben konnte. Mädchen treffen und solche Dinge. Ich konnte da nicht mithalten, es war viel zu riskant. Daran zerbrach unsere Freundschaft. Neue Freunde fand ich erst wieder, nachdem ich meinen Durst im Griff hatte. Einer davon ist Gísli, wir haben zusammen studiert. Für gewöhnlich unternehmen wir zwei- oder dreimal im Jahr eine Gletschertour oder eine mehrtägige Wanderung. Seine Frau ist immer beruhigt, wenn ich ihn begleite, sie schätzt meinen guten Orientierungssinn. Dann ist da noch mein literarischer Freund Jón. Er ist ungemein belesen und kennt ganze Passagen aus seinen Lieblingswerken auswendig. Wir können uns stundenlang über Bücher unterhalten. Der dritte im Bunde ist Trausti. Wir spielten gemeinsam Handball. Heute unterrichtet er Sport an der Breiðholt-Gesamtschule. Mit ihm gehe ich aus, wenn ich Spass haben will. Wir ziehen um die Häuser und testen unsere Wirkung auf Frauen.“

    Fionn runzelte leicht irritiert die Stirn. „Hast du vor, das weiterhin zu tun? Was ist mit der Frau aus der Buchhandlung? Hast du sie wiedergesehen? Versuchst du dich ihr zu nähern?“ Heiðar blies genervt die Luft aus den Backen. „Du kannst es dir wohl nicht verkneifen, was?“ – „Neugierde ist Teil meines Wesens“, erklärte Fionn mit einem amüsierten Achselzucken. Heiðar lenkte ein: „Na gut, weil du es bist. Ich bin heute nochmals in der Buchhandlung vorbeigegangen, um sie zu sehen. Es gelang mir, den Durst zu ignorieren, und ich habe sie auf einen Kaffee eingeladen. Leider hat sie mir eine Absage erteilt, das war echt hart. Ich bin es nicht gewohnt, dass man mich abweist.“ - „Du solltest nicht gleich aufgeben. Versuch weiter ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.“ - „Das werde ich. Aber erst mal gönn ich mir ein paar Stunden Schlaf.“ Er reckte sich und wollte schon aufstehen. Fionn hielt ihn leicht am Arm zurück, die Berührung kribbelte angenehm. „Bevor du dich hinlegst, sollten wir noch etwas Wichtiges besprechen. Sterblichen gegenüber kannst du mich unmöglich als deinen Vater vorstellen. Wir brauchen eine glaubwürdige Erklärung.“ – „Ich habe der Krankenschwester erzählt, dass du mein Cousin aus dem Ausland bist. Wir sollten dabei bleiben.“ – „Sehr gut. Ich bin also dein Cousin aus England. Mein Vater ist Engländer, die Mutter stammt aus Island, was die Sprachkenntnisse erklärt. Wundere dich bitte nicht, wenn ich im Beisein von Sterblichen mit starkem Akzent spreche. Es trägt zusätzlich zur Glaubwürdigkeit bei.“ – „Alles klar, Cousin aus England. Wenn wir schon dabei sind, habe ich auch noch etwas zu klären: Erwartest du, dass ich dich „Papa“ nenne, wenn wir allein sind?“ Fionn grinste breit. „Keine Sorge. Das erspare ich dir, solange du mir einen gewissen Respekt entgegenbringst. Vergiss nicht, dass ich 330 Jahre alt bin.“ Sie lachten. Heiðar überlegte, ob die Sache mit dem Respekt ein Witz war. Es war schwer abzuschätzen, wieviel Sinn für Humor sein Vater hatte. Extrem neugierig war er aber auf jeden Fall! Heiðar erhob sich gähnend vom Sofa. „Lass uns morgen weiterreden. Wenn du willst, bleib einfach hier. Wo die Bücher sind, weisst du ja. Gute Nacht, Papa .“ – „Schlaf gut, mein Sohn.“

    Als Heiðar gegen fünf Uhr morgens die Augen aufschlug, stand Fionn an seinem Bett. „Warst du die ganze Nacht hier drin?“ – „Ich konnte nicht widerstehen. Es ist wunderbar, in deiner Nähe zu sein.“ Heiðar schlug die Decke zurück, stand auf und fuhr sich durchs Haar. „Ich finde das ziemlich schräg. Kannst du das bitte sein lassen? Ich bin kein kleines Kind mehr, du brauchst meinen Schlaf nicht zu bewachen.“ Fionn lächelte ungerührt. „Du hast ruhig geschlafen. Keine bösen Träume.“ – „Man nennt es Privatspähre. Böse Träume hin oder her.“ – „Erwarte keine Zerknirschtheit von mir, Unsterbliche halten nicht viel von Privatspähre und Schamgefühlen. Aber ich werde es nicht wieder tun, versprochen.“ – „In Ordnung. Ich geh erst mal unter die Dusche.“ Heiðar liess ihn stehen und verschwand im Bad.

    Viereinhalb Minuten später

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