Silbernes Band (German Edition)
normales Leben.“
In Fionns Blick lagen Bedauern und Schmerz. „Ich hoffe, du kannst mir mein Unvermögen, dir ein guter Vater zu sein, irgendwann verzeihen. Ich nehme es Kristín nicht übel, dass sie mich von dir ferngehalten hat, denn sie wollte dich schützen. Als du älter wurdest, hoffte ich natürlich, dass sie mir Gelegenheit gibt, deine Fragen zu beantworten. Dir wäre viel Leid erspart geblieben. Ich glaube, sie hatte Angst, dass ich dich beeinflussen und entführen könnte, deshalb liess sie es nicht zu. Es wäre bestimmt furchtbar für sie gewesen, wenn du angefangen hättest, Sterbliche zu jagen, so wie ich.“ – „Sie hat krampfhaft versucht, einen Menschen aus mir zu machen. Kristín konnte nicht damit umgehen, was ich bin. Wie konnte sie trotzdem zwei Jahre lang mit dir zusammenleben?“ – „Bevor sie schwanger wurde, hat es sie nie gestört, sie hat es wohl einfach verdrängt. Sie wollte nur die Gewissheit, dass ich sie liebe und mich um sie kümmere. All das konnte ich ihr geben, ich habe sie sehr geliebt und hätte ihr niemals etwas angetan.“ – „Wolltest du sie damals schon verwandeln? Vieles wäre wohl einfacher gewesen.“ - „Wir haben darüber gesprochen, ob ich sie verwandeln sollte, damit wir gemeinsam die Ewigkeit erleben können. Doch ich spürte, dass sie sich nicht wirklich auf meine Welt einlassen konnte, weshalb ich zögerte. Ich wollte sie nicht dazu zwingen. Nach deiner Geburt hätte sie sich wohl kaum dazu entschliessen können, selbst wenn sie meine Gefährtin geblieben wäre. Sie wollte dir eine gute Mutter sein. In ihren Augen war es richtig, dich möglichst menschlich zu erziehen. Ich habe Verständnis dafür.“
Heiðar schloss die Augen und versuchte, seiner Vergangenheit zu entkommen. Angst, Unsicherheit, Wut und Verzweiflung holten ihn ein, umzingelten ihn und richteten ihre Lanzen auf sein Herz. „Warum bist du nicht wütend auf sie? Nach allem, was sie uns zugemutet hat! Wie können wir die verlorenen Jahre nachholen?“ – „Wir finden einen Weg, das Versäumte durch gemeinsame Erlebnisse aufzuwiegen. Du musst versuchen, uns zu verzeihen.“ – „Ich habe Mama längst verziehen, es ist bloss alles wieder hochgekocht.“ Er wischte ein paar Tränen ins Haar, dann schlang er spontan seine Arme um Fionn: „Ich verzeihe dir, dass du nicht da sein konntest.“ Fionn hielt abrupt den Atem an und löste sich geschickt aus der Umarmung. „Entschuldige bitte. Es ist ein wenig schwierig, wenn du mir unerwartet nahekommst. Ich muss mich erst an dich gewöhnen, immerhin hast du einen funktionierenden Blutkreislauf.“ – „Ich sollte wohl etwas vorsichtiger sein, was?“ - „Unbedingt. Obwohl du vermutlich die meisten meiner Fähigkeiten geerbt hast, kann ich dir gefährlich werden. Der Instinkt könnte plötzlich die Oberhand gewinnen...“ Heiðar blieb völlig unbeeindruckt. Fionn war schliesslich sein Vater, er dachte ja gar nicht daran, Angst vor ihm zu haben. „Glaubst du? Ich fürchte mich nicht vor dir. Aber es ist okay, wenn du dich zurückziehst, ich nehm’s dir nicht übel.“ – „Wie steht es denn um deine Robustheit? Warst du jemals krank oder verletzt? Ich bin neugierig, wie das Erbe sich durchgesetzt hat.“ - „Ich weiss nicht, wie es ist, krank zu sein, und ich hatte noch nie einen Kratzer oder blaue Flecke. Extreme Temperaturen halte ich problemlos aus, bloss bei zuviel Sonne muss ich passen, dann fühle ich mich ziemlich beschissen. Ist hier in Island aber nicht wirklich von Belang...“ Fionn schmunzelte. „Ja, die liebe Sonne. Sie ist auch für mich ein grosses Problem. Was ist mit deinen Fähigkeiten?“ Heiðar grinste. „Na ja, ich bin ziemlich stark und schnell, und meine fünf Sinne sind aussergewöhnlich gut ausgebildet. Ich habe ein hervorragendes Gedächtnis und kann mich auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentrieren. Ich kann Menschen mit meinem Blick bannen, wende es allerdings nur selten an.“ - „Vielleicht ergibt sich bald die Gelegenheit, deine Kräfte zu prüfen. Wir sollten einmal gemeinsam aufs Land fahren, was meinst du?“ – „Klar, bin dabei. Zu zweit macht es bestimmt mehr Spass, durch die Heide zu jagen.“ – „Wir haben viele Dinge nachzuholen, die du mit deinen sterblichen Freunden nicht tun konntest. Das heisst, ich hoffe doch sehr, dass du Freunde unter den Menschen gefunden hast?“ –
„Ich habe ein paar wenige Freunde. Diese Freundschaften bestehen seit vielen Jahren. Als ich ein Kind
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