Silbernes Band (German Edition)
bei ihr zu sein. Während er auf die Cappuccinos wartete, blickte er ständig zu ihr rüber. Sie wandte ihm den Rücken zu, kramte in der Handtasche nach ihrem Mobiltelefon, warf einen prüfenden Blick darauf, strich sich eine Locke hinters Ohr und atmete einmal tief aus. Als er gleich darauf leise an den Tisch trat, zuckte sie leicht zusammen, lächelte aber, als er Cappuccino und Marzipanstange vor sie auf die Tischplatte schob. „Danke.“ Er liess sich ihr gegenüber auf die Bank fallen. Die kleinen Nischen waren nicht unbedingt gemacht für jemanden seiner Grösse. Als er seine langen Beine unter der schmalen Tischplatte sortierte, setzte sich Rúna etwas zurecht, dabei streiften sich ihre Knie. Ihn durchzuckte ein Blitz, als der schwarze Stoff ihrer Hose und seine Jeans sich kurz aneinanderrieben. „Cool bleiben!“, mahnte die innere Stimme. Er räusperte sich und suchte ihren Blick:
„Erzähl mir von dir. Ich möchte alles über dich wissen!“ Die blauen Augen funkelten erwartungsvoll. „Du bist ganz schön neugierig! Ich verrate dir bestimmt nicht gleich alles von mir.“ Sie nahm demonstrativ einen Schluck Kaffee. Der glühende Blick blieb unverwandt auf sie gerichtet.
„Trägst du Kontaktlinsen? Deine Augen sind unglaublich blau – so was gibt’s doch gar nicht“, kommentierte sie das Glühen. „Ha?“ Wieso glaubte niemand, dass er tatsächlich solche Augen hatte? Ob Fionn auch ständig darauf angesprochen wurde? „Nein, die Farbe ist echt.“ Sie grinste amüsiert ob seiner Entrüstung und begann zu erzählen: „Also. Meine Augenfarbe ist auch echt, ich bin Vierundzwanzig, bin in Akureyri geboren und aufgewachsen. Meine Eltern und meine kleine Schwester leben immer noch da. Gæfa ist Vierzehn und geht noch zur Schule. Papa arbeitet in der Geschäftsleitung einer Fischfabrik und Mama hat eine Stelle im Pflegeheim. Nach dem Abi war ich ein Jahr in Deutschland um zu jobben. Danach wollte ich Soziologie studieren, hab´ aber nach einem Semester abgebrochen. Seither hatte ich verschiedene Jobs. Bevor ich die Stelle in der Buchhandlung bekam und hierher zog, war ich auf einem Gestüt im Norden angestellt. Ich liebe Pferde und reite in meiner Freizeit regelmässig. Eine Kollegin vom Reitverein hat mir eines ihrer Pferde zur Verfügung gestellt. Es ist eine nette kleine Stute und sie heisst Hnota.“
Rúna hob die Augenbrauen und machte klar, dass sie fürs Erste nicht mehr erzählen würde. Heiðar drehte seine Tasse in den Händen. „Wie lange arbeitest du schon am Skólavörðustígur? Ich habe dich vorher noch nie gesehen, obwohl ich regelmässig da vorbeischaue.“ Seine Frage schien sie zu amüsieren. „Seit zwei Wochen. Vorher habe ich ein halbes Jahr in der Filiale in Kópavogur gearbeitet.“ – „Alles klar, mein letzter Besuch liegt bestimmt drei Wochen zurück. Ich hatte schon Angst, ich hätte dich bisher übersehen.“ Seine Feststellung liess sie leicht erröten. Sie drehte ihr Marzipanteilchen in den Händen, als müsste sie es erst gründlich begutachten, bevor sie wagte, hineinzubeissen. Ihre Verlegenheit war zauberhaft. Ihre Pferdeliebe hingegen fand er nicht so toll. Das schrie geradezu nach Komplikationen, faule Ausreden waren vorprogrammiert.
Abgesehen von dieser Sorge, fühlte er sich wie im Himmel. Die Stimme in seinem Kopf schwieg, und das Raubtier zerrte nicht an der Kette. Es schien beinahe normal, wie sie ihm hier gegenüber sass. Die schmalen Hände hatte sie auf die hellbraune Tischplatte gelegt, gab ihm so ausgiebig Gelegenheit, die feinen blauen Linien, die sich unter der zarten Haut abzeichneten, zu betrachten. Wenn sie lachte, hob sie leicht den Kopf an, und er konnte sehen, wie das Blut in ihrer Kehle pulsierte. Er bräuchte bloss die Hand zu heben und an ihren Hals zu legen, um es zu fühlen...
Sie trank noch einen Schluck Kaffee, biss dann anmutig von dem süssen Gebäck ab. Heiðar bemerkte einen kleinen, widerspenstigen Krümel, der an den rosigen Lippen haftete. Er wünschte sich, dieser Krümel zu sein. Oder wenigstens seine Hand nach dem süssen Mund ausstrecken zu dürfen, um ihn sachte mit dem Finger aufzufangen. Dann würde er seinen Finger ablecken, den Krümel in den Mund nehmen und daran eine winzige Spur ihres köstlichen Duftes schmecken.
„Und jetzt zu dir. Ich will schliesslich auch alles von dir wissen...“, forderte sie ihn heraus. Wenn es doch so einfach wäre, ihr alles zu sagen! Weil es das definitiv nicht
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