Silbernes Band (German Edition)
war, begann er erst einmal mit harmlosen Dingen: „Geboren wurde ich am 25. Juli 1978.“ Rúna hob überrascht die Augenbrauen, der Krümel provozierte ihn weiter. „Echt? Du bist schon 32? Ich hätte dich höchstens auf 25 geschätzt.“ – „Na ja, das liegt an meinen guten Genen... Ich bin bei meiner Mutter Kristín aufgewachsen, lebe aber seit Abschluss meiner Ausbildung allein. Leider ist meine Mutter schwer erkrankt und liegt zurzeit im Spital.“ Rúna sah deutlich, wie ein tiefer Schmerz in seine Augen trat. „Das tut mir leid. Was fehlt ihr denn?“ – „Leukämie.“ Seine Miene verschloss sich, er wollte auf keinen Fall weiter davon sprechen. „Ist schon in Ordnung. Du brauchst es mir nicht zu erzählen.“ Sie lächelte mitfühlend, bemerkte endlich den Krümel an ihrer Oberlippe und wischte ihn beiläufig weg. Heiðar verfolgte mit leisem Bedauern seinen Flug auf den verblichenen Teppich. „Nach dem Abi habe ich Geschichte und Literatur studiert. Dass ich Bücher liebe war also kein billiger Vorwand. Ich unterrichte Isländisch und Geschichte an der Breiðholt-Gesamtschule, was mir sehr viel Spass macht. Ausserdem mag ich Sport. Ich laufe und schwimme mehrmals pro Woche, früher habe ich Handball gespielt.“
Rúnas Augen waren immer grösser geworden: „Du bist Lehrer? So siehst du aber nicht aus.“ - „Warum sollte ich nicht Lehrer sein? Gibt es bestimmte Kriterien, wie ein Lehrer auszusehen hat?“ Sie biss sich verschämt auf die Unterlippe. „Na ja, ich weiss nicht. Du siehst einfach nicht aus wie ein typischer Lehrer. Soll aber keine Kritik sein, ich habe nichts gegen Lehrer...“ Heiðar täuschte Erleichterung vor und grinste entwaffnend. „Dann wirst du dich also weiter mit mir unterhalten, obwohl ich launisch bin, eine unmögliche Augenfarbe habe und nicht aussehe wie ein Lehrer?“ Sie hielt sich verlegen an ihrer Tasse fest.
„Lass uns das Thema wechseln“, lenkte er ein. „Wie kommst du dazu in einer Buchhandlung zu arbeiten? Ist es ein Traumjob oder bloss eine Übergangslösung?“ Sie ging gerne auf die Frage ein: „Ich liebe Bücher seit ich denken kann. Mama hat mir früher immer vorgelesen und später war ich die Vorleserin für meine Schwester. Bücher sind etwas Tolles, ich mag ihren Geruch und die Spannung, wenn man ein Buch zum ersten Mal aufklappt. Die Stelle in der Buchhandlung war ein absoluter Glücksgriff, nachdem ich keine Lust mehr hatte, auf dem Gestüt zu arbeiten. Solange ich unschlüssig bin, was ich später mal machen möchte, bleibe ich dabei. Vielleicht versuch ich’s irgendwann nochmal mit der Uni.“ – „Du bist also mit Leidenschaft dabei. Was für ein Buch würdest du mir empfehlen?“ – „Hmm, mal sehen: Die Sagas und die ganzen Klassiker kennst du natürlich in- und auswendig. Ich glaube, du bist sehr heimatverbunden, deshalb würde ich dir die jungen isländischen Autoren empfehlen. Bestimmt magst du witzige Sachen, wie von Óskar Helgi Baldursson. Ja, das könnte zu dir passen.“ – „Nicht schlecht. Am besten, du kommst mit zu mir und ich zeig dir meine Bibliothek, dann kannst du meine Vorlieben überprüfen.“ Er hätte genausogut den peinlichen Spruch mit der Briefmarkensammlung bringen können. Ihr Lächeln erstarb und ein Rollo ging runter.
Zum Glück kam ihm die Angestellte des Cafés zu Hilfe: „Tut mir leid, aber ihr müsst jetzt gehen. Wir schliessen gleich.“ Rúna blickte auf ihre Uhr: „Huch, schon so spät? Ich muss nach Hause.“ Er versuchte wieder etwas Boden gut zu machen, half ihr galant in die Jacke und hielt selbstverständlich die Tür auf. Sein Vater wäre bestimmt begeistert. Sie traten auf den Gehsteig hinaus, wo sie unschlüssig stehenblieben.
Er konnte sie unmöglich einfach so gehen lassen. „Darf ich dich zum Essen ausführen?“ Sein Blick glühte mit halber Intensität – bloss nicht übertreiben, und auf keinen Fall einen Bann aussprechen! „Gerne. Am Mittwoch hab ich frei, aber ich nehme an, du musst die Woche über arbeiten?“ – „Das spielt keine Rolle. Was hältst du von morgen Abend, acht Uhr?“ - „Das passt, ich arbeite morgen bis halb Sieben.“ – „Darf ich dich abholen?“, bat er mit leuchtenden Augen. Sie nannte ihm ihre Adresse,die er ja schon kannte - Sólveig sei Dank. „Ich hol dich um Viertel vor Acht ab!“ Er strahlte wie ein Honigkuchenpferd zu Weihnachten.
Auf welche Weise sollte er sich von ihr verabschieden? Er durfte sie auf keinen Fall
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