Silbernes Band (German Edition)
Süsse und ihre Wärme waren zu viel. Ausserdem hatte er Angst, sie könnte seinen Zähnen zu nahe kommen. Heiðar löste sich abrupt von ihr. “Dóra könnte uns sehen.”
Sie errötete leicht. “Ist schon okay...”, wollte auf dem Absatz kehrtmachen, aber er hielt sie am Arm zurück. “Hör mal, Rúna. Wir wollten doch gemeinsam wandern. Was hältst du davon, wenn wir das an deinem nächsten freien Tag machen?” Sie wirkte gleich wieder etwas versöhnt. “Klar, ich bin dabei. Aber das geht wohl nicht. Mein freier Tag ist Montag, dann musst du arbeiten.” – “Und ob das geht. Ich beziehe einfach einen Weiterbildungstag und der Wanderung steht nichts im Weg.” Rúna grinste. “Ja, Wandern ist wirklich eine tolle Weiterbildungsmöglichkeit.” – “Natürlich. Wir könnten uns eine geschichtlich bedeutende Stätte ansehen. Oder wir zitieren Verse aus der Edda .” – “Prima! Das machen wir. Und ich bin die Kursleiterin, klar.” – “Und was willst du mir beibringen?“, triezte er mit verschlagenem Grinsen. “Mhm, mal sehen. Vielleicht wie man Küsse stiehlt...”
Sie schnappte sich ein zurückgelassenes Tablett vom Nebentisch und trug es mit flottem Hüftschwung zur Theke des Cafés. Ilka nahm es entgegen. “Du bist ganz schön verliebt, was?“, forschte sie neugierig. “Ja, er ist wirklich süss.” – “Hör mal, Rúna. Es geht mich ja nichts an, aber.. ..dein Heiðar hat nicht gerade den besten Ruf. Eine Freundin von mir hatte mal was mit ihm, bloss eine kurze Affäre. Für sie war es okay, weil sie keine feste Beziehung suchte. Sie wollte einfach ein bisschen Spass haben, und den hatte sie. Aber... du bist anders. Pass auf dich auf, Rúna. Du könntest verletzt werden.” Rúnas Miene verdüsterte sich. “Danke, dass du mich darauf hingewiesen hast, aber ich halte nicht viel von diesem Geschwätz. Lieber mache ich mir selbst ein Bild.” Sie rauschte davon und widmete sich übertrieben geschäftig einem Stapel Neuerscheinungen.
Es ärgerte ihn, dass ihn seine unrühmliche Vergangenheit einholte. Hoffentlich liess Rúna sich nicht beeinflussen von diesen Geschichten. Er musste sie überzeugen, dass es mit ihr etwas anderes war. Dass sie viel mehr war als bloss eine Affäre. Sie war alles für ihn.
Seufzend nahm er das nächste Heft zur Hand. Die Schüler im dritten Jahr hatten ein Kapitel einer selbst verfassten Geschichte abgegeben. Die jungen Frauen schrieben oft über Beziehungen und Gefühle. Liebe war ein grosses Thema, während die Männer eher über Science Fiction und Endzeitfantasien schrieben. Sie liessen sich offensichtlich von irgendwelchen Online-Games inspirieren. Heiðar schüttelte mehr als einmal den Kopf.
Jemand hatte einen Text in Anlehnung an die Saga-Tradition verfasst, der ihm ausserordentlich gut gefiel. Die nächste Arbeit entlockte ihm ein Schmunzeln. Eine Schülerin schrieb über einen Vampir, der sich in ein junges Mädchen verliebte. Sie machte das gar nicht schlecht, er fand einige Parallelen. Was würde wohl passieren, wenn diese junge Frau wüsste, dass sie seit mehr als zwei Jahren vom Sohn eines Unsterblichen unterrichtet wurde? Heiðar wollte sich das lieber nicht so genau vorstellen.
Dóra zuliebe verliess er die Buchhandlung kurz vor Sieben. Ging aber nicht etwa nach Hause, sondern verbarg sich im düsteren Durchgang an der rechten Seite des Gebäudes, wo eine schmale Treppe ins Untergeschoss führte. Als Rúna sich kurz nach Geschäftsschluss zu Fuss auf den Heimweg machte, folgte er ihr unbemerkt. Nachdem sie das Haus sicher erreicht hatte, wartete er eine weitere Stunde in der Dunkelheit, bis sie eingeschlafen war.
“Schläft sie?”, erkundigte sich Fionn mit verständnisvollem Lächeln. Heiðar liess sich auf das helle Ledersofa fallen und atmete heftig aus. “Ich halte es kaum aus, von ihr getrennt zu sein, und ständig drängt es mich, sie zu beschützen.” Er blickte seinen Vater hilfesuchend an, rieb sich die Stirn und fuhr sich durch die dunklen Locken. “Sei unbesorgt, dein Verhalten ist ein sicheres Zeichen dafür, dass Rúna die Eine ist, die du am meisten begehrst. Versuch es zu akzeptieren, du kannst nicht dagegen ankämpfen. Ich habe genau dasselbe gefühlt, als ich mein stummes Herz an Elizabeth verlor und Jahre später an deine Mutter. Um mir diese Qual zu ersparen, habe ich in ihnen den Wunsch geweckt, alles aufzugeben und bei mir zu bleiben. So weit möchtest du vermutlich nicht gehen.”
Heiðar schüttelte
Weitere Kostenlose Bücher