Silbernes Band (German Edition)
wühlten durch die wirren Locken, fuhren unterm Mantel über Taille und Hüften.
Eingeklemmt zwischen Wand und Heiðar kriegte Rúna kaum noch Luft. Ihre Atemnot brachte ihn zum Glück zur Besinnung. Mit einem sanften Kuss zog er sich von ihr zurück und mutierte im Handumdrehen zum besorgten Gentleman: „Bist du hungrig? Soll ich etwas für dich kochen?“ - „Nein danke, ich hab in der Pause schon was gegessen, aber ich muss meine Beine hochlegen. Wir sind heute ganz schön rumgehetzt worden.“ - „Siehst du, darum dachte ich mir, ich trag dich nach Hause.“ – „Musst du immer das letzte Wort haben?“ – „Nein, nicht unbedingt.“ Rúna warf ihm einen strengen Blick zu, schlüpfte aus Mantel und Stiefeln und ging ins Wohnzimmer, wo sie sich aufs Sofa fallen liess. Heiðar holte in der Küche einen Krug Wasser und zwei Gläser, ausserdem eine Packung Gummibärchen. „Gib her!“ Sie stürzte sich auf die Süssigkeiten, während er Wasser einschenkte und anschliessend eine CD von Hnífur Blóm einlegte. „Hier. Damit du mich nicht wieder in Atemnot bringst.“ Er kriegte den Mund mit drei Gummibärchen gestopft, dann konnte sie sich gefahrlos an ihn kuscheln. Sorgfältig schlang er das Haargummi um ihre Locken, streichelte gedankenverloren den zarten Nacken.
Die Gummibärchen waren alle, die CD zu Ende. Rúna gähnte herzhaft. „Wenn ich jetzt nicht schlafen gehe, musst du mich morgen den ganzen Weg tragen. Das wäre die gerechte Strafe für deine Steinzeit-Aktion von vorhin“, grinste sie listig. „Du weisst gar nicht, wie gern ich das machen würde. Pass auf, oder ich nehm dich beim Wort.“ – „Tss.“ Sie stand auf und hielt kurz inne. „Kannst du mir ein T-Shirt leihen?“ – „Klar, bedien dich ruhig. Die T-Shirts sind rechts im Schrank“, erwiderte er betont gelassen und hob eine Augenbraue.
Sie ging zu der roten Tür am Ende des Flurs und öffnete. Ein angenehmer Holzgeruch schlug ihr entgegen. Sämtliche Möbel waren aus urtümlich gemasertem Eichenholz gefertigt. Das breite Bett war frisch bezogen. Zwei Kissen, aber nur eine Decke, ganz in königsblau. Links und rechts des Bettes gab es kleine Ablagetische, der eine war mit einem hohen Bücherstapel belegt, auf dem anderen stand eine Lampe mit weissem Schirm. Am Fenster ein bequemer Lesesessel mit rotem Stoffbezug, auf dem ein dunkelgrauer Pulli lag. An der einen Wand ein viertüriger Schrank. Wo waren nochmal die T-Shirts? Sie öffnete die Tür ganz links. Da hingen mehrere Hemden an einer Stange, darunter befanden sich ein paar Schubladen. Rúna zog eine heraus: Sie war vollgestopft mit losen Socken, fast alle in Schwarz. Ob er morgens jeweils fünf Minuten nach passenden Exemplaren suchte? In der zweiten Schublade sah es nicht besser aus: Zusammengeknüllte schwarze Boxerslips, kreuz und quer, aber immerhin sauber. Sie hatte sich einen kleinen Chaoten angelacht. Rúna schloss die linke Schranktür und wandte sich der rechten zu. Mehrere Tablare waren mit Sportkleidung bestückt. Sie zog ein blaues T-Shirt aus einem unordentlichen Haufen. Es war ziemlich gross und würde hoffentlich das Nötigste verdecken. Fast bereute sie, ihren Pyjama nicht mitgenommen zu haben. Neben dem Schrank stand ihre Tasche, aus der sie ihren Waschbeutel und einen schwarzen Slip hervorkramte, dann ging sie ins Bad.
Die blaue Tür knarzte ganz leise, als sie in den Rahmen gedrückt wurde. Rúna liess ihren Blick schweifen: Dusche, Klo, Waschbecken, Spiegelschrank. Alles blitzblank, er hatte offenbar gründlich geputzt. Ob das immer so aussah? Sie konnte es sich nicht verkneifen, einen Blick in den Spiegelschrank zu werfen. Wie erwartet, herrschte ein ziemliches Durcheinander: eine Rasierschaumdose ohne Deckel, eine ausgequetschte Tube Hautcreme, Zahnseide, ein leerer Deo-Roller und eine einsame Rasierklinge auf einem fleckigen Glasregal, auf der Ablage darunter der dazugehörige Rasierer, eine Schachtel Kleenex, ein paar Waschlappen und eine angebrochene Packung Kondome - 10 Stück, gefühlsecht. Rúna schloss rasch den Spiegelschrank. Auf dem Waschtisch lag eine eingepackte Zahnbürste, ihr bevorzugtes Modell, in einem Becher daneben seine eigene Zahnbürste und eine Tube Zahnpasta. Sie ging aufs Klo, schminkte sich sorgfältig ab, putzte die Zähne und zog sich aus.
Bevor sie unter die Dusche hüpfte, überlegte sie, ob sie abschliessen sollte. Die Frage erübrigte sich, es gab nämlich gar keinen Schlüssel. Dafür einen beheizten
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