Silbernes Band (German Edition)
herangehen, sich ganz auf ihn einlassen. Und erneut ein gebrochenes Herz riskieren. Davor hatte sie Angst. Sie konnte nicht verhindern, dass es passierte, aber sie wollte ihm trotzdem von ihrer grossen Enttäuschung erzählen und auch von ihrer ersten Liebe.
„Ich hatte bisher zwei feste Beziehungen. Meine erste grosse Liebe war Elías. Wir verliebten uns im Gymnasium und blieben fast vier Jahre zusammen. Er war der Erste, mit dem ich geschlafen habe. In diesem Alter sind vier Jahre eine lange Zeit. Wir haben uns beide verändert, sind reifer geworden. Ich habe irgendwann gemerkt, dass wir uns in verschiedene Richtungen bewegen. Gleich nach dem Abitur habe ich mich von ihm getrennt.“ Heiðar schluckte. Rúna hatte schon einmal ein Herz gebrochen. Ob ihn dasselbe Schicksal erwartete?
Sie sprach mit leiser Stimme weiter: „Beim zweiten Mal wurde ich verlassen. Es geschah im letzten Winter, als ich auf dem Gestüt im Norden arbeitete. Jungpferde anreiten und so. Er hiess Thomas. Seine Eltern betreiben einen grossen Islandpferdehof in der Lüneburger Heide. Er blieb eine Weile auf dem Gestüt, um Pferde auszusuchen, die er nach Deutschland exportieren wollte. Ich habe geglaubt, er liebt mich. Gesagt hat er es mir mehrmals am Tag. Ich war total verliebt und habe von einem gemeinsamen Leben auf seinem Hof geträumt. Was hat er mir nicht alles versprochen, und ich dumme Kuh habe ihm geglaubt! Als eine neue Praktikantin bei uns anfing, hat er mich ziemlich schnell abserviert und sich an sie herangemacht. Ich war sehr verletzt und habe Angst, dass mir das nochmal passiert.“
Heiðar verstand. Sie vertraute ihm nicht, befürchtete dass er sie irgendwann einfach verliess. Wie sollte er ihr erklären, dass seine Liebe nicht plötzlich aufhörte, da sie so ungeheuer machtvoll war? Die Liebe eines Monsters. Rúna war ursprünglich einfach ein Opfer gewesen. Viel zu kostbar, um sie zu töten, weshalb er sich ihr nun mit all seiner Liebe und Begierde ausgeliefert hatte.
„Ich schätze, wir müssen beide noch daran arbeiten, einander zu vertrauen. Das braucht Zeit. Ich bringe die nötige Geduld auf, bis du mir vertrauen kannst, und ich hoffe, dass du mir Zeit gibst, bis ich bereit bin, dir alles zu erzählen.“ Er suchte vorsichtig ihre Lippen. Rúna schmiegte sich verwirrt, aber auch getröstet, in seine Arme und schlief noch etwas.
Der Elfenhügel
Sie sprachen nicht viel an diesem Morgen. Er war schon vor ihr aufgestanden und machte Frühstück, während sie sich anzog. Sie hatte schreckliche Kopfschmerzen, ihre Augen waren ganz verheult und sie fühlte sich etwas groggy. Der furchtbare Traum nahm sie jedes Mal ziemlich mit. Sie wünschte, sie müsste ihn nie wieder träumen.
Kurz nach Acht fuhren sie los. Der starke Wind hatte sich merklich gelegt, dafür regnete es in Strömen. Rúna trug mehrere Schichten Kleidung übereinander und hatte ausserdem ihr Regenzeug dabei. Heiðar sah umwerfend aus in den schwarzen Jeans und dem handgestrickten Pulli aus blauer Wolle. Die Farbe passte genau zu seinen Augen.
Er warf ihr einen liebevollen Seitenblick zu und berührte leicht ihre Wange. „Die frische Luft wird dir gut tun. Draussen in der Heide kannst du den bösen Traum vergessen.“ – „Genau. Lass uns einfach den Tag geniessen.“ Rúna schob die Tatsache, dass sie sich unbedingt ein paar Gedanken machen sollte, weit von sich.
Bevor sie Hella erreichten, bog er von der Ringstrasse ab. Sie fuhren auf einer Nebenstrasse weiter und parkten nach ein paar Kilometern an einer Ausweichstelle. Aus den düsteren Wolken fiel nur noch ein feiner leiser Herbstregen. Heiðar schulterte den Rucksack mit Proviant und heissem Tee, Rúna zog sich ihr Regenzeug an und setzte eine warme Mütze auf. Sie fassten einander an den Händen und folgten schweigend einem schmalen Pfad, der einen Hügel hinaufführte. Oben erstreckte sich ein weites Plateau, über das der auffrischende Wind hinwegstrich. Die nebelfeuchte, schmutzig-gelbgrüne Heide wirkte erschöpft. Die buckligen, mit flechtenbewachsenen Steinen durchsetzten Wiesen erforderten gutes Schuhwerk und einen sicheren Tritt.
Rúna atmete tief ein. Ihre Kopfschmerzen waren buchstäblich wie weggeblasen. Sie fühlte sich frei in dieser Weite, umgeben von nichts als Natur. Heiðar bemerkte es mit Freude. Auch er fühlte sich frei und geborgen. Hier gab es keine Zwänge und keine Einschränkungen. Sie waren einfach und atmeten den Wind. Er lauschte Rúnas Herzschlag und hielt
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