Silbernes Band (German Edition)
„Ich war gestern Abend bei deinem Vater, ich meine Fionn.“ Nun schnappte Heiðar nach Luft, sprang vom Sofa auf und starrte sie erregt an. „Was hat er getan? Hat er dich gezwungen mitzugehen? Hast du ihm in die Augen gesehen?“ Sie bedeutete ihm sich zu beruhigen, also setzte er sich wieder hin, rieb sich aber aufgebracht die Stirn und fuhr sich nervös durchs Haar. „Er hat mir gezeigt, was er ist. Ich hatte grosse Angst, aber er hat versprochen, mir nichts zu tun, weil ich deine ...Gefährtin bin. Und er sprach von der Verantwortung, die er übernommen hat, dass ich auf keinen Fall etwas verraten darf.“ Heiðar stöhnte angewidert. „Das hätte er nicht tun dürfen. Fionn hat ... gewisse Fähigkeiten. Er ist in der Lage, Menschen zu manipulieren, indem er ihren Blick bannt. Du warst schon einmal bei ihm, kurz nachdem ich dich kennengelernt habe. Damals hat er dich beeinflusst, deshalb kannst du dich an nichts erinnern. Er schwört, dass er bloss mit dir geredet hat, und ich glaube ihm, aber ich war sehr wütend auf ihn. Und jetzt hat er es wieder getan! Ich wollte derjenige sein, der dir alles erzählt und die Verantwortung übernimmt. Fionn hat sich einfach wieder eingemischt!“ Rúna hatte mit wachsender Beunruhigung zugehört. Ihr lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Fionn war definitiv gefährlich!
„Ich weiss nicht, ob er mich gestern Abend gebannt hat, glaube aber, dass ich mich an alles erinnern kann. Er musste mich auf jeden Fall überreden mitzugehen. Ich ging bloss mit, weil er mir von dir erzählen wollte, denn ich war so verzweifelt, wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Kristín hätte mir bestimmt einen Rat geben können...“ Heiðar quälte sich: „Ich hätte bei dir sein müssen, aber ich konnte es nicht. Wir hätten schon lange darüber reden sollen. Ich dachte, uns bleibt mehr Zeit, und hoffte, dass Kristín uns helfen kann. Sie wusste, wie es ist, von einem Unsterblichen geliebt zu werden. Für mich ist das alles auch noch so neu. Bevor ich Fionn traf, wusste ich kaum mehr über Unsterbliche als du. Ich habe meinen Vater erst vor Kurzem kennengelernt. Es war am selben Tag, als ich dich das erste Mal sah. Und...“ Sie unterbrach ihn: „Es ist okay. Was du bist, ist schliesslich nicht deine Schuld. Und dass du nicht einfach so damit herausrücken konntest, versteht sich von selbst. Schon gar nicht, als deine Mutter im Sterben lag. Ich habe Verständnis für deine schwierige Situation.“ Ihre Worte ermutigten ihn weiterzusprechen: „Meine Gefühle fahren Achterbahn mit mir, nicht bloss wegen Kristíns Tod. Was ich für dich empfinde ist eine völlig neue Erfahrung. Bisher ging es nie um echte Gefühle. Durch die Liebe zu dir ist das Erbe stärker geworden und damit auch meine Empfindungen. Als Fionn in mein Leben getreten ist, wurde diese Seite meiner Persönlichkeit geweckt. Davor versuchte ich wie ein Mensch zu leben und hielt den Vampir so gut wie möglich unter Verschluss. All das verwirrt mich, ich muss erst lernen damit umzugehen. Gibst du mir trotzdem eine Chance?“ Die saphirblauen Augen blickten direkt in ihr Herz hinein.
Sie brauchte einen Moment, um ihren eigenen Gefühlen auf den Grund zu gehen, musste entscheiden, ob sie damit zurechtkam. Ihr Schweigen dauerte eine Ewigkeit. Er verfolgte bange, wie sie aufstand, doch sie verliess nicht den Raum, sondern kam zu ihm herüber und setzte sich vorsichtig neben ihn. Voller Hoffnung blickte er auf, Rúna griff sachte nach seiner Hand. „Ich werde etwas Zeit brauchen, um mich an alles zu gewöhnen. Im Moment fühle ich mich ziemlich überfordert.“ – „Das kann ich gut verstehen, und ich erwarte nicht, dass du es toll findest, dass ich ein Halbwesen bin.“ Sie nickte. „Das wäre ziemlich unrealistisch.“ – „Erlaubst du, dass ich dich nach Hause fahre?“ Sie räusperte sich leise und blickte gespielt hilflos zu ihm hoch. „Eigentlich wollte ich dich bitten, ob du mir was zu Essen machst. Ich bin ganz schön hungrig...“
Erst stand ihm einfach bloss blanke Verblüffung ins Gesicht geschrieben, dann gelang ihm der Anflug eines Grinsens. „Kein Problem. Am besten, ich mach mich gleich ans Werk, damit du mir nicht verhungerst.“ Sie kriegte nicht wirklich mit, wie er in die Küche hinübersauste, fühlte bloss einen leisen Luftstoss und schwupp, war er verschwunden. Kopfschüttelnd balancierte sie die Gläser und den Wasserkrug nach drüben. Er hatte bereits Reis aufgesetzt und Hähnchenbrust
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