Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
Aidan ihm gegeben hatte. »Es ist zu
gefährlich«, keuchte er und verlor wieder das Bewußtsein.
Aidan war hin und hergerissen
zwischen dem Verlangen, zu bleiben und sich um seinen hinfälligen Gefährten zu
kümmern, und einem fast unkontrollierbaren Bedürfnis, die Flucht zu ergreifen —
sich so weit wie möglich von diesem Ort und all diesem Entsetzlichen zu
entfernen.
Er wollte Neely sehen, er sehnte
sich nach ihrem Trost und wollte sie in den Armen halten. Es verlangte ihn nach
ihrer Menschlichkeit, nach ihrer Wärme und nach ihrer Weiblichkeit. Aber
gerade dieses Verlangen war es, was ihn zurückhielt.
Ja, er liebte sie, das wußte er nun
und hatte auch schon begonnen, sich damit abzufinden. Aber er durfte nicht
vergessen, daß er ein Ungeheuer war, zumindest in gewisser Hinsicht, und daß
sein Bedürfnis nach Blut genauso groß war wie bei jedem anderen Vampir. Und
obwohl seine Seele sich längst mit Neelys vereinigt hatte, konnte er nicht
seiner sein, daß sein schrecklicher Durst ihn in einem Anfall von Leidenschaft
nicht dazu zwingen würde, sich auf sie zu stürzen.
Die Vorstellung, aus einer solchen
Ekstase zu erwachen und Neely leblos in seinen Armen vorzufinden, war schlimmer
als jede Strafe, die ein Dämon sich für ihn auszudenken vermochte.
Fieberhaft begann er, in seinem
Bewußtsein Maeves Bild zu formen.
Neely hatte gerade ihre morgendliche
Schicht im Café beendet, als ein uralter Kombi ratternd auf den Parkplatz
einbog und mit quietschenden Bremsen vor der Tür zum Stehen kam. Die große
blonde Frau, die ausstieg, trug ausgefranste Jeans, eine abgeschabte Lederjacke
und ein dünnes Baumwollhemd, und ihr offenes Lächeln war von der Art, die
Fremde in Freunde verwandelt.
»Hi«, sagte sie, setzte sich auf
einen Hocker an der Theke und zog eine Menükarte zu sich heran. »Mein Name ist
Doris Craig. Ich bin vollkommen pleite, und meine alte Karre wird es auch nicht
mehr viel weiter schaffen. Sind Sie die Geschäftsführerin hier?«
Neely nahm ihre Schürze ab und
schaute über Doris' rechte Schulter, auf der eine tätowierte Hummel prangte, zu
dem schwerbeladenen Kombi hinüber.
»Nein«, erwiderte sie. »Mein Bruder
ist der Chef. Ich arbeite hier nur.«
Doris schloß resolut die Karte und
bedachte Neely mit einem weiteren strahlenden, offenherzigen Lächeln. »Sie
wollen nicht zufällig kündigen, oder? Denn falls es so ist, würde ich Ihren Job
sehr gerne übernehmen.«
Ben hatte nicht erwähnt, daß er noch
mehr Hilfe brauchte, aber er hatte auch nicht das Gegenteil behauptet. Neely
schenkte eine Tasse frischaufgebrühten Kaffee ein und stellte sie vor Doris.
»Während der letzten drei Stunden meiner Schicht denke ich ständig daran, zu
kündigen«, gestand sie lächelnd und tippte an das Namensschild auf ihrer Brust.
»Ich bin Neely Wallace. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Doris nickte höflich. »Wenn Sie
schon nicht kündigen wollen«, sagte sie augenzwinkernd, »besteht dann
wenigstens die Chance, daß Sie gefeuert werden?«
Neely lachte. »Tut mir leid — wie schon
gesagt, der Chef hier ist mein Bruder, und er wird mich noch eine Weile
ertragen müssen. Aber ich sage ihm gern Bescheid, daß er herüberkommen soll,
um mit Ihnen zu reden. Möchten Sie in der Zwischenzeit etwas essen?«
Doris zog zwei zerknüllte Eindollarscheine
aus ihrer Hosentasche und strich sie auf der Theke glatt. »Falls das Geld
dafür reicht, hätte ich gern Suppe und Milch«, sagte sie. Obwohl ihre Situation
ganz offensichtlich recht verzweifelt war, strahlte sie keinerlei Selbstmitleid
aus, und Neely war beeindruckt von soviel Courage.
Sie nickte und ging an dem jungen
Mädchen, das die Nachmittags-und frühe Abendschicht übernahm, vorbei in die
Küche. Heather war nicht übermäßig ehrgeizig, aber sie war pünktlich und
korrekt, weshalb anzunehmen war, daß auch ihr Job nicht so schnell freiwerden
würde.
In der Küche füllte Neely
Rindfleischsuppe in einen Teller und nahm ein Körbchen mit Salzkeksen. Sie
stellte das Essen vor Doris auf die Theke und ging zur Milchmaschine weiter.
Als sie Doris gerade das gefüllte
Glas brachte, bimmelte die kleine Glocke über der Tür, und Ben kam herein. Er
hatte in der Einfahrt zum Motel Schnee geschippt, seine Wangen waren gerötet
von der Kälte.
Es erschien Neely wie eine
glückliche Fügung des Schicksals, daß er ausgerechnet in diesem Augenblick
erschien. »Ben, das ist Doris Craig«, stellte sie ihm das blonde Mädchen vor.
»Doris, das ist
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