Silberschweine
Straße zurück zur Grenze. Jeder Wagen, der Barren geladen hatte, mußte sie nehmen, denn die Nebenwege waren zu eng und zu holprig für derartige Lasten. Das bedeutete, jeder Barren, der die Gruben verließ, war in einem amtlichen Dokument verzeichnet.
Unser Ziel war der Militärhafen Abona. Um die große Bucht der Sabrina zu erreichen, mußten wir ihr zunächst den Rücken zukehren – zehn Meilen nach Osten, bis an die Grenzstraße, dann nach Norden zu den heiligen Quellen von Sul, von dort nach Westen und nun gleichsam an der dritten Seite eines Rechtecks entlang nach Abona – alles in allem rund dreißig römische Meilen. Schwere Lastkähne fuhren die breite Mündung der Sabrina hinauf. Auf ihnen umschifften die Barren dann die beiden Vorgebirge, fuhren unter Bewachung der Britannischen Flotte über den Kanal und durchquerten den Kontinent auf dem Landweg. Der größte Teil des Silbers ging durch Germanien nach Süden. Dank der starken Militärpräsenz war dies die sicherste Strecke.
Abona kannte ich von früher.
Es war alles beim alten geblieben. Hier hatten Petronius Longus und ich zwei vernieselte Jahre in einer Zollbude verbracht. Sie stand noch immer, und noch immer war sie mit jungen Schnöseln in nagelneuen farbenprächtigen Mänteln besetzt, die vornehm herumstolzierten und die Sklaven, die den Reichtum des Imperiums heranschafften, keines Blickes würdigten. Allesamt hatten sie verfrorene Gesichter und laufende Nasen, aber anders als die Schlaumeier in den Gruben, konnten sie zählen. Sie überprüften unsere Liste, zählten die Barren, verstauten sie in ihrem Zollager, und wenn die Lastkähne kamen, zählten sie sie vor der Übergabe noch einmal. Der Himmel mochte dem Grubenpächter Triferus helfen, wenn da mal etwas nicht stimmte.
Aber es stimmte immer. Selbstverständlich stimmte es. Wenn wir Vebiodunum verlassen hatten, machte die Kolonne jedesmal bei einem kleinen Dorf im Hochland kurz vor der Grenze halt, damit sich die Fahrer erleichtern konnten. Wir hielten auch an, wenn keiner mußte.
Während dieses Aufenthalts wurde die Liste verändert.
Jetzt kam das Ende in Sicht.
Nach drei Fahrten gelang es mir, mich so weit hinten in der Kolonne einzureihen, daß ich mitbekam, was geschah, sobald wir die Ansammlung von Hütten hinter uns ließen, wo ein korrupter Beamter die Unterlagen gefälscht hatte. Während der Hauptteil des Konvois an der Grenze den Weg nach Norden einschlug, drehten die letzten zwei oder drei Wagen unbemerkt nach Süden ab.
Man könnte die Diebe für dumm halten, weil sie die Heerstraße benutzten, die allerdings gut in Schuß war und Zugang zu sämtlichen Häfen an der Südküste bot. Aber die Verlegung der Zweiten Augusta nach Glevum im Norden bedeutete auch, daß dieser Straßenabschnitt nicht mehr systematisch bewacht wurde. Regelmäßige Transporte, die Woche für Woche hier vorüberkamen, wurden von Truppen, denen sie zufällig begegneten, einfach durchgewinkt.
Langsam fand ich meine Form wieder. Ich hatte ein klares Ziel vor Augen: ich wollte so viel Vertrauen gewinnen, daß sie mich einen der Wagen fahren ließen, die nach Süden abbogen. Ich mußte unbedingt wissen, wohin sie fuhren. Wenn wir den Hafen fanden, in dem die Barren verladen wurden, konnten wir auch das Schiff ausfindig machen, das die gestohlenen Silberschweine nach Rom brachte – das Schiff und seinen Besitzer. Er mußte an der Verschwörung beteiligt sein.
Ich war alt genug, um das Risiko zu erkennen: mir konnten die Nerven durchgehen. Nach drei Monaten Zwangsarbeit und Schikanen bei dem schlimmsten Fraß, den man im ganzen Reich bekommen konnte, war ich schlechter Verfassung. Aber eine neue Herausforderung wirkt zuweilen Wunder. Ich konnte mich wieder konzentrieren, und meine Nerven behielt ich auch.
Nur das spezielle Verhältnis des Didius Falco zum Glück hatte ich übersehen.
Ende Januar bekam ich meine Chance. Die Hälfte der Sklavenarbeiter war ans Krankenlager gefesselt und simulierte, was das Zeug hielt. Manche machten das so gut, daß sie wirklich starben. Wir übrigen, die wir noch auf den Beinen waren, mußten doppelt ranklotzen, aber es lohnte sich, denn wir bekamen auch doppelte Rationen. Der Fraß schmeckte scheußlich, half aber gegen die Kälte.
Etwas Schnee war gefallen, und es war unsicher, ob die wöchentlichen Transporte überhaupt auf den Weg geschickt werden konnten. Aber der Himmel klarte wieder auf, und es schien, als sei der Einbruch des wirklichen Winters
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