Silent Control | Thriller
das Kissen sinken ließ, arbeitete sein Verstand auf Hochtouren. So nüchtern wie möglich analysierte er seine Chancen. Sicher würde man seine IP-Adresse und längst seine Wohnung auseinandergenommen haben. Falls es ihm tatsächlich gelang, sich nach New York abzusetzen, war ein großer Schritt getan. Und dann? Was war mit seiner heroischen Mission? War es nicht ein wenig lächerlich, dass ausgerechnet er antreten wollte, die Machthaber der Welt in ihre Schranken zu weisen? Für Torben waren die demokratischen Parlamente immer mehr zur Farce verkommen. In den Hinterzimmern von gerade mal 150 internationalen Konzernen wurde über das Schicksal von Milliarden Menschen entschieden. Davon waren beinahe die Hälfte Banken und Versicherungen. Als er aus dem kleinen Abteilfenster schaute, erinnerte er sich an ein Interview mit einer Investmentbankerin, das er erst vor ein paar Tagen im Netz gelesen hatte. Sie bestritt nicht, dass ihre Branche durch Rohstoff- und Nahrungsmittelspekulationen vermutlich mehr Menschen umgebracht haben könnte als mancher Diktator des 20. Jahrhunderts.
Vielleicht konnte ihm dieser Hacker helfen, noch mal in die Datenbanken der CIA zu kommen. Es war ein Fehler gewesen, sich ohne genaue Instruktionen von Peter in die CIA zu hacken.
Torben fiel eine Diskussion mit Kilians Vater ein. Vor einigen Wochen war er zu einer Party in die herrschaftliche Stockholmer Villa eingeladen worden und Kilian zuliebe hingegangen. Irgendwann hatte Kilians Vater ihn in ein Gespräch verwickelt. Dabei war ein schrecklicher Satz gefallen:
»Der Kapitalismus braucht keine Demokratie.«
Der Satz hatte Torben elektrisiert wie ein Starkstromschlag. Das war der Zynismus der Macht. Die Herrschenden dachten gar nicht daran, sich von irgendwem die Butter vom Brot nehmen zu lassen.
Schläfrig beobachtete Torben, wie die Masten neben der Bahntrasse im Sekundentakt am Fenster vorbeiwischten. Was ihm im Moment am meisten fehlte, war sein Handy. Zu gern wäre er ins Netz gegangen, um zu sehen, was sich dort tat. Voller Bedauern dachte er an die Mülltonne, in der sein Handy nun zwischen Fischabfällen und alten Zeitungen lag. Kein Netz. Er fühlte sich wie amputiert. Wieder wanderten seine Finger zum Schlüssel an seiner Halskette. Was würde er in dem Schließfach finden? Existierte es überhaupt noch? Oder war Hamburg eine Sackgasse, vielleicht sogar eine tödliche? Während er darüber nachdachte, fielen ihm die Augen zu.
KAPITEL 12
HAMBURG
Torben hatte gerade seinen dritten Instantkaffee getrunken, als der Zug am Hamburger Dammtorbahnhof in der Früh einlief. Hastig stellte er den Becher ab, nahm seinen Armeemantel und stieg aus. Im Vergleich zu den üblichen Stahlkolossen neuerer deutscher Bahnhöfe war dieser Bahnhof im Stil des späten 19. Jahrhunderts belassen worden. Im Untergeschoss befanden sich Geschäfte, deren dunkle Holzfassaden geschnitzte Muster zierten. Dezente Leuchtreklamen verliehen der Ladenzeile ein warmes, einladendes Licht. Der Boden war mit roten Backsteinen gepflastert, es roch nach frischem Gebäck und Pizza.
Zielstrebig ging er zum Ausgang. Die Bank lag nur ein paar Hundert Meter vom Bahnhof entfernt direkt neben einem Taxistand am Gänsemarkt. Kurz erwachte die Erinnerung an bessere Zeiten. Von diesem Bahnhof aus hatte ihn sein Weg sechs Jahre zuvor in die Universität geführt. Auf dem Weg zur Bank wich Torben ein paar abgewrackten Typen neben dem Eingang aus, die ihn um Geld anbettelten. Er hatte ohnehin nur noch ein paar Kronen in der Tasche. Weit würde er damit nicht kommen.
In der Bank war ziemlich viel los. Fast unbemerkt, konnte er in einem Nebenraum die Schließfächer ansteuern. In Hamburg war es nichts Besonderes, wenn flippig gekleidete Menschen über ein Bankschließfach verfügten, und so nahm niemand von ihm Notiz.
»Hundertsiebenundsechzig«, murmelte er, während er die Metalltüren der Fächer abschritt. »Da ist es!«
Mit zitternden Händen schob er den Schlüssel hinein und drehte ihn behutsam um. Was konnte Peter ihm hinterlassen haben? Etwa eine Waffe? Oder einen Hinweis auf Daten, die er nicht kannte? Wahrscheinlich würde er nicht hier stehen, wenn Peter ihm rechtzeitig gesagt hätte, was ihm zu schaffen machte. Mit einem Klicken sprang die Tür auf. Gespannt spähte Torben in das Fach. Es lag nur eine kleine schwarze Tasche darin, nicht größer als eine Geldbörse. Sicherheitshalber schaute er sich um. Es war niemand zu sehen. Sein Herz klopfte heftig, als er die
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