Silicon Jungle
Derlei hochwertige Informationen lieferten noch viel persönlichere und interessantere Erkenntnisse über die Benutzer und wurden daher zwecks Weiterverarbeitung gequeut.
Was die Praktikanten vermuteten, stimmte: In diesem gewaltigen Archiv waren mehr personenbezogene Informationen gespeichert, als je zuvor in der Geschichte der Menschheit gesammelt worden waren. Ubatoo kannte vielleicht nicht deine Augenfarbe (es sei denn, du hattest mal ein Foto von dir auf Ubatoos Fotoplattform geladen), doch die Datenmengen, die das Unternehmen auf seinen Servern hatte, reichten aus, um eine ausführliche Geschichte über dich zu erzählen, bis hin zu den kleinsten Einzelheiten deines Lebens. Ubatoo war über alles informiert, über deine Kaufgewohnheiten, deine E -Mails, von denen dein Boss nichts wissen sollte, die Fotos, nach denen du hinter verschlossenen Türen gesucht hattest. Und warum wurden diese Informationen gesammelt? Aus dem einen einfachen Grund: damit Ubatoo dir optimierte Werbung schicken konnte.
Ubatoo erstellte von jedem User ein individuelles Profil und personalisierte mit Hilfe dieses Profils die Verlockungen, die er zu sehen bekam – vor seinen Augen poppte eine Werbung für ein Produkt auf, von dem Ubatoo früher wusste, dass er es gern hätte, als er selbst. Alles, was Ubatoo machte, jeder Dienst, den Ubatoo scheinbar gratis anbot, kostete in Wahrheit einen winzigen Preis: deine Zeit, deine Aufmerksamkeit und – hoffentlich – einen Klick. Man zeigt dir eine Werbung, wenn du sie anklickst, zahlt der Werbekunde einen Betrag an Ubatoo. Obwohl fast niemand regelmäßig klickte, klickte fast jeder manchmal. Im Endeffekt war es ein simples Zahlenspiel. Ubatoo bietet dir nützliche Dienste an, um dich an sie zu binden, und wenn du wiederkommst, stößt du auf die Werbung, die du sehen willst. Irgendwann wird schon irgendetwas so verlockend sein, dass du es anklickst.
Und wenn du dich nicht beeinflussen lässt? Hartnäckig nicht klickst? Auch das war okay. Das über dich erstellte Profil half, andere zu verstehen. Es gab jede Menge Leute wie dich, Leute, die dieselben Dinge im Internet suchten, die dieselbe Summe Geld in der Woche ausgaben und so ähnlich wohnten wie du, und diese Leute waren für Werbung empfänglicher. Du konntest also ruhig so viele Dienste nutzen, wie du wolltest, deine Daten waren so gut wie die deiner Nachbarn und gleichermaßen willkommen.
Die äußerst bodenständige und schonungslos kapitalistische Mission, geschickter zu werben, leuchtete allen Ubatoo-Mitarbeitern ein. Sie stand zwar im krassen Gegensatz zu den Überzeugungen der idealistischen und bekanntermaßen liberalen Bevölkerungsgruppe, aus der Ubatoo seine »Talente« rekrutierte, doch für die meisten Ubatoo-Mitarbeiter gehörten die Mechanismen hinter Ubatoos finanziellen Erfolgen in dieselbe Kategorie wie der Sonnenaufgang am Morgen: Es war wichtig – sie hätten nicht gewusst, was sie sonst machen sollten –, aber es war nichts, das ihre Aufmerksamkeit verlangte. Für die Technologen, die an den »Frontlinien« arbeiteten, war es ein tagtäglicher Kampf, die fast 3 650 000 Server an ihren Standorten rund um den Globus am Laufen zu halten. Für die Informatiker, die für Ubatoos E-Mail-Dienst arbeiteten, zählte praktisch nichts anderes, als die wachsenden Anforderungen von Usern zu erfüllen, deren Zahl sich bis zum Jahresende um das Dreifache vergrößert haben würde. Der Intellekt von Tausenden Akademikern, die daran arbeiteten, die Internetsuche effizienter zu machen, war vollauf in Anspruch genommen vom rasanten Wachstum des Internets und der erzeugten Informationsmenge.
Alles bei Ubatoo entwickelte sich so wahnsinnig schnell, dass nur mithalten konnte, wer den Kopf unten behielt. Knie dich in das Projekt, an dem du gerade arbeitest, richtig tief rein; alles andere wird dir abgenommen. Die Einzigen, die sich Gedanken über Finanzen machten, waren die »Geldleute«, deren Büros auf dem Ubatoo-Gelände weitab von denen der Wissenschaftler und Informatiker lagen. Die Geldleute hatten keinerlei Mitspracherecht bei den Produkten oder den Aktivitäten der Technologietalente, zu denen sie auch sonst kaum Kontakt hatten. Und es war einer kleinen Zahl von Auserwählten vorbehalten, einerseits die Kluft zwischen den Technologen und den Geldleuten zu überbrücken und andererseits die beiden Seiten voneinander abzuschirmen. Diese Auserwählten hatten jeweils zwei Büros, eins bei den Technologen und eins auf der
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