Silo: Roman (German Edition)
Tür war bis auf einen
Spalt geschlossen. Bernard setzte große Hoffnungen in den Jungen. Heute
Sheriff, eines Tages vielleicht Mayor. Bernard würde das Amt eine Weile
bekleiden, vielleicht für eine Legislaturperiode oder zwei, aber er wusste,
dass er in die IT gehörte und hier oben fehl am Platz war.
Oder anders gesagt: dass er auf seinem anderen Posten weitaus schwieriger zu
ersetzen war.
Er drehte sich von
Peters Büro wieder zum Wandmonitor – und hätte fast seinen Pappbecher fallen
lassen.
Juliette stapfte
silbern schimmernd in ihrem Anzug den Hügel hinauf. Bernard sprang zum Monitor,
als wollte er ihr nachlaufen.
Er sah, wie sie die
dunkle Spalte hinaufkletterte und kurz neben dem reglosen Bündel der beiden
anderen Verurteilten haltmachte. Bernard blickte wieder auf die Uhr. Es musste
jeden Moment so weit sein. Jeden Moment würde sie zusammenbrechen und
verzweifelt nach ihrem Helm greifen. Sie würde sich zusammenkauern, eine kleine
Wolke im Staub aufwirbeln, den Hang hinunterrutschen, für immer liegen bleiben.
Doch der
Sekundenzeiger bewegte sich weiter – und Juliette ebenso. Sie ließ die beiden
anderen hinter sich, stieg voller Energie weiter hinauf und erreichte mit
gleichmäßigen Schritten die Hügelkuppe. Dort blieb sie stehen und ließ den
Blick über Gott weiß was wandern, bevor sie unerklärlicherweise aus Bernards
Sicht verschwand.
* * *
Bernards
Hand klebte vom Saft, als er die Treppen hinunterrannte. Drei Stockwerke weit
hielt er den zerdrückten Pappbecher noch immer fest umklammert, dann holte er
seine Techniker ein und schleuderte ihn auf deren Rücken. Die Müllkugel prallte
ab und fiel in die Tiefe – irgendwo auf einem fernen Treppenabsatz würde sie
landen. Bernard verfluchte die verwirrten Männer, er rannte weiter, stolperte
mehrmals über seine eigenen Füße. Ein Dutzend Stockwerke weiter unten stieß er
mit den ersten Bewohnern zusammen, die auf dem Weg nach oben waren, um sich den
zweiten klaren Sonnenaufgang innerhalb nur weniger Wochen anzusehen.
Alles tat ihm weh,
Bernard war außer Atem, als er schließlich das vierunddreißigste Stockwerk
erreichte. Er platzte durch die Doppeltür und brüllte, man solle augenblicklich
die Schranke öffnen. Ein verängstigter Wachmann zog geistesgegenwärtig seinen
eigenen Ausweis durch den Laserscanner, kurz bevor Bernard das Drehkreuz
passierte. Er rannte durch den Flur, bog zweimal ab, dann stand er vor der am
schärfsten gesicherten Tür des ganzen Silos.
Er zog seine Karte
durch den Scanner und tippte den Sicherheitscode ein, eilte hinein, vorbei an
den Wänden aus massivem Stahl. Es war heiß im Serverraum. Die Reihe der
identischen schwarzen Gehäuse ragte von dem gefliesten Boden auf wie ein
Mahnmal des menschlichen Strebens. Bernard ging zwischen den Geräten hindurch,
der Schweiß perlte auf seiner Stirn, das Licht blendete ihn. Er fuhr mit der
Hand im Vorbeigehen über die Serverschränke, die Lämpchen zwinkerten wie
freundliche Augen, das elektrische Summen flüsterte ihm beruhigend zu.
Bernard war für
diese Besänftigungen wenig empfänglich. Er spürte, wie die Angst ihn überkam.
Er überlegte fieberhaft, was schiefgegangen sein konnte. Nicht, dass Juliette
dort draußen überleben würde, das wäre kaum möglich, aber sein Auftrag – nach
den Anleitungen, die auf diesen Servern gespeichert waren – lautete, er solle
niemanden aus den Augen lassen. Das war oberster Befehl. Er wusste, warum das
so war, und er zitterte vor den Konsequenzen am nächsten Morgen.
Er fluchte über die
Hitze, als er den Server am hinteren Ende des Raums erreichte. Die Ventilatoren
an der Decke leiteten kalte Luft aus den unteren Tiefen herauf und bliesen sie
in den Serverraum. Große Lüfter sogen die heiße Luft ein und pumpten sie durch
Rohre in den unteren Silobereich, sodass die kalten und klammen dreistelligen
Stockwerke erträglich warm wurden. Bernard starrte die Ventilatoren an, er
erinnerte sich an die Stromsperre in der vergangenen Woche, in der die
Temperaturen gestiegen waren und den Betrieb seiner Server bedroht hatten. Und
alles nur wegen irgendeines Generators, alles nur wegen dieser Frau, die er
gerade aus den Augen verloren hatte! Der Gedanke schürte das Feuer unter seinem
Kragen. Er dachte an die widerlichen, fettverschmierten Maschinen dort unten,
den Gestank der Abgase und des brennenden Öls. Er hatte nur ein einziges Mal
vor Ort sein müssen – um einen Mann umzubringen –, aber selbst das war zu
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