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Silo: Roman (German Edition)

Silo: Roman (German Edition)

Titel: Silo: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugh Howey
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Silos bewegten sich auseinander, und mit einem wütenden
Zischen strömte die erste Argonwolke hinaus. Das komprimierte Gas schäumte, als
es auf die wärmere, weniger dichte Luft dort draußen traf.
    Juliette Nichols
streckte einen Stiefel durch den schmalen Spalt. Die Türen öffneten sich nur
ein kleines Stückchen, nur so weit, dass der Druck in der Schleuse das Argon
hinausblies und die tödlichen Gase nicht hineinkonnten. Sie dachte an das
Feuer, das bald in der Luftschleuse lodern würde, die Flammen, die schon an ihr
zu züngeln schienen, sie fühlte die Panik in sich aufsteigen. Hektisch zwängte
sich Juliette in ihrem dicken Schutzanzug durch den Türspalt – und war
plötzlich draußen.
    Draußen.
    Über ihrem Kopf war
nichts als Wolken, der Himmel und unsichtbare Sterne.
    Sie schleppte sich
voran, durch den zischenden Argonnebel auf eine aufwärtsführende Rampe, in
deren Ecken sich jede Menge Dreck gesammelt hatte. Man vergaß leicht, dass das
oberste Stockwerk des Silos unterirdisch lag. Der Blick aus ihrem alten Büro
und der Kantine gab einem das Gefühl, man befinde sich ebenerdig auf der
Oberfläche, mit dem Kopf im Wind, aber das lag nur daran, dass die Linsen das
Bild von weiter oben übertrugen.
    Juliette betrachtete
die Nummern auf ihrer Brust, und ihr fiel ein, was sie jetzt eigentlich hätte
tun sollen. Mit gesenktem Kopf, den Blick auf ihre Stiefel gerichtet, stieg sie
die Rampe hinauf. Sie war nicht einmal sicher, was sie überhaupt vorantrieb, ob
es die Stumpfheit war, die man im Angesicht des Todes empfand – oder ob es eine
Art automatisierter Selbsterhaltung war, mit der sie sich von dem Inferno in
der Luftschleuse wegbewegte. Als Juliette am oberen Ende der Rampe ankam,
richtete sich ihr Blick auf die Lüge, auf die großartige, wunderschöne
Illusion. Grünes Gras bedeckte die Hügel wie ein frisch verlegter Teppich. Der
Himmel war strahlend blau, die Wölkchen wie frisch gebleichtes Leinen.
    Sie drehte sich um
sich selbst und bewunderte die spektakuläre Inszenierung. Es war, als wäre sie
in eines dieser Kinderbücher hineinversetzt worden, in eine der Geschichten, in
denen die Tiere sprechen und die Kinder fliegen konnten und in denen es kein
Grau mehr gab.
    Und obwohl sie
wusste, dass es nicht die Wirklichkeit war, die sie sah, obwohl sie wusste,
dass ihr nur eine acht mal zwei Zoll große Illusion vorgegaukelt wurde, war der
Wunsch, diesen Bildern zu glauben, überwältigend. Sie wollte vergessen, was sie
über das betrügerische Programm der IT wusste, sie wollte alles vergessen, worüber sie und Walker gesprochen
hatten, sie wollte sich auf das weiche Gras fallen lassen, sich den
lächerlichen Anzug vom Leib reißen und glücklich durch die erlogene Landschaft
spazieren.
    Sie sah auf ihre
Hände hinunter, ballte die Fäuste und ließ wieder locker, so weit die dicken
Handschuhe es erlaubten. Der Anzug war ihr Sarg. Sie versuchte in Gedanken zu
trennen, was echt war und was ihr von der IT und ihrem Visier vorgemacht wurde. Der Himmel war nicht echt. Das Gras
war nicht echt. Ihr Tod war echt. Die hässliche Welt, die sie schon immer
gekannt hatte, war echt.
    In diesem Moment
fiel ihr abermals die Reinigung ein. Sie drehte sich um und schaute zum ersten
Mal zu dem Sensorenturm. Ein stabiler Klotz aus Stahl und Beton, an dem auf
einer Seite eine rostzerfressene Leiter hinaufführte. Die Linsen saßen wie
Warzen auf dem Gesicht des Turms, und Juliette griff sich an die Brust und riss
eines der Wolle-Pads ab. Sie hatte immer noch Walkers Nachricht im Kopf: Keine
Angst.
    Sie nahm das raue
Wolle-Pad und rieb sich damit über den Oberarm. Das hitzebeständige Klebeband
löste sich nicht auf, es zerfledderte nicht sofort wie das Zeug, das sie aus
der IT bekommen hatte, das Klebeband, das
gemacht worden war, um zu schmelzen. Ihr Anzug war mit der Sorte Klebeband
bedeckt, mit der Juliette normalerweise arbeitete, dem guten Klebeband, das in
der Mechanik entwickelt worden war.
    Die in der
Versorgungsabteilung sind gar nicht schlecht , hatte Walker geschrieben. Und allmählich begann
Juliette zu verstehen, wie dieser Satz gemeint gewesen war. Die Kollegen in der
Versorgung hatten ihr geholfen, wann immer sie ein besonderes Ersatzteil
gebraucht hatte, und nun hatten sie noch einmal etwas wirklich
Außergewöhnliches für sie getan. Während Juliette auf dem Weg zu ihrem Urteil
drei Tage lang im Treppenhaus unterwegs gewesen war und drei einsame Nächte in
drei verschiedenen Arrestzellen

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