Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
Er war ganz schlecht darin, sich Konflikten zu stellen. Argumentativ, mit Für und Wider, mit These und Antithese Probleme zu lösen, war für ihn schier unmöglich. Einerseits wollte er Marlies nicht verletzen, andererseits aber auch Agnes nicht vor den Kopf stoßen. Er wollte sich eigentlich gar nicht damit auseinandersetzen. Weder mit Marlies’ Eifersucht noch mit Agnes’ Reaktion darauf. Aber keine Chance. Wer nicht selbst handelt, für den wird gehandelt. Soll heißen: Marlies wartete erst gar nicht auf eine Antwort von Plotek, sondern stürzte sich sogleich auf ihn und schlug mit ihren zarten Händen gar nicht zart zu. So lange, bis Frau Pan wie ein Windhauch am Tisch auftauchte und Marlies, als wäre sie nicht achtzig Kilo schwer, sondern achtzig Gramm, mit einer Handbewegung, einem Federstrich gleich, aus dem Hotel begleitete. Die Folge war grenzenlose Faszination bei den Zurückgebliebenen. Vinzi schien sich erneut augenblicklich in Frau Pan zu verlieben. Plotek ebenso. Und Agnes dachte wohl an die bevorstehende Ermittlungsarbeit und die Frage, wie sich diese erstaunliche Vietnamesin hierfür am besten integrieren ließe.
Einen Tag später und pünktlich zur Hochzeit von Beat und Agatha war Klemens wieder frei. Der dringende Tatverdacht konnte nicht belegt werden. Der eigentliche Grund für seine Entlassung war ein weiterer Toter. Während nämlich der Hauptverdächtige in Haft saß, wurde noch ein Elvis-Imitator umgebracht. Mit derselben Methode, also Spieluhr, Schubert, Wiegenlied . Man fand ihn hinter der Tennisanlage auf dem Spielplatz. Besser hätte der Hauptverdächtige erst gar nicht entlastet werden können. Die Folge: Die Hauptkommissarin hatte zwei Probleme mehr. Keinen Verdächtigen und einen weiteren Toten. Was summa summarum, ob sie es wollte oder nicht, auf einen Serientäter hinauslief. Darin waren sich alle einig.
10
Auf dem Papierfitzelchen des Glückskekses stand: Unternimm Leichtes, als wäre es schwer, und Schweres, als wäre es leicht. Vinzi schüttelte lange den Kopf, sah immer wieder auf die Buchstaben, als wäre es eine gar nicht leicht entschlüsselbare Botschaft einer ihm unbekannten Welt, und sagte schließlich: »Was soll man damit bloß anfangen?« Er zerknüllte das Zettelchen und warf es in den Aschenbecher.
»In Anbetracht von drei toten Elvissen ist das Schwere ganz schön schwer.« Auch Plotek hatte Schwierigkeiten, sich auf diese Weisheit einen Reim zu machen.
»Die Einzige, die es sich leicht macht, ist die Hauptkommissarin.« Agnes ging die Sache pragmatischer an. Außerdem war sie, wie es schien, nicht gut auf den feschen Kripofeger zu sprechen. Wobei das Auf-die-leichte-Schulter-Nehmen von Vera Frischknecht auch nicht mehr ganz stimmte. Seit dem dritten toten Elvis wirkte die Hauptkommissarin so, als hätte sie sich das Dolce Vita zumindest für die nächste Zeit aus dem Kopf geschlagen. Plötzlich kam hektische Betriebsamkeit in den ansonsten gemächlichen Schweizer Ermittlungsapparat. Dennoch konnte man den Eindruck bekommen, sie wisse nicht ganz genau, was sie da eigentlich tat. Ein Plan, eine Strategie, eine Methode, die die Aufklärung der Straftaten in absehbarer Zeit ermöglicht hätte, war nicht zu erkennen. Eher das Gegenteil. Es war wie das Stochern nach der oft zitierten Stecknadel im Heuhaufen. Wäre da nicht der öffentliche Druck gewesen, vor allem durch die nun in Sils versammelten Pressevertreter, hätte die junge Hauptkommissarin vielleicht nichts an ihrer laschen Ermittlungsart geändert. So blieb ihr aber nichts anderes übrig, als sich endlich ernsthaft dem Fall zu widmen. Oder zumindest so zu tun. Die Folge: Man sah sie erstens weniger oft im Wang Tong 23 bei einem vietnamesischen Reisgericht, und zweitens war die Geschwätzigkeit Plotek und Vinzi gegenüber dahin. Sie wurde so, wie man sich gemeinhin eine Kriminalhauptkommissarin vorstellt: überheblich, besserwisserisch und unsympathisch. Zudem noch meistens schlecht gelaunt.
»Schade eigentlich«, sagte Vinzi.
»Sein macht eben Bewusstsein«, packte Plotek eine altbackene Weisheit aus, die auch vom Papierfitzelchen aus seinem Glückskeks hätte stammen können.
»Was hast du ?«, fragte Plotek Klemens, der sein Gebäck völlig zerbröselt hatte, um an den Zettel zu kommen.
» Das Schicksal … Brunzkachel, Zangengeburt … meint es gut mit dir … Ficker.« Klemens las und strahlte.
Plotek strahlte auch, und Vinzi sagte, ein wenig neidisch auf die Eindeutigkeit seiner Botschaft:
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