Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)

schien Ploteks kleine Widerborstigkeit sogar zu honorieren. Das ist oft so. Duckmäusertum ist weniger angesehen, als man denkt. Manchmal sind die Menschen froh, wenn jemand seinen eigenen Kopf hat. Der tut, was er tun muss, ohne darauf zu achten, was von ihm erwartet wird. Bei Plotek war das fast immer so.
    Selina lächelte, klopfte mit dem Finger auf seine Schulter und sagte: »Sie sind mir aber einer!«
    Jetzt versammelte sich die Röte doch noch auf Ploteks Wangen. Sie aber auch, wollte Plotek sagen, ließ es aber, weil in diesem Moment nicht nur die Röte »Hallo« sagte, sondern auch Vinzi, der mit seinem Rollstuhl um die Ecke bog und auf die Terrasse rollte.
    Was will der denn hier?, dachte Plotek noch, als Vinzi es ihm schon sagte.
    »Klemens wurde festgenommen!«, rief er ihm noch im Rollen zu.
    Die Information schlug ein wie der Asiate in die Futterhütte. Die Alte, Beat und Selina erstarrten. Wie zur Salzsäule, im biblischen Sinne, als wären alle drei zusammen die Frau von Lot. Plotek erstarrte nicht, sondern fragte entsetzt, fast benommen: »Was? Warum das denn?«
    »Dringender Tatverdacht.«
    Plotek verstand nicht. »Was für eine Tat?«
    »Mord!« Vinzi war jetzt in der Mitte der Terrasse und vor den dort Versammelten angekommen. Die anderen drei waren noch immer wie paralysiert.
    »Klemens soll was?« Plotek rang noch immer um den Durchblick.
    »Den Finnen und den im Wald.«
    »Schwachsinn!« Das klang eindeutig. Half aber nichts.
    »Sagst du«, sagte Vinzi. »Die Frischknecht behauptet anderes.«
    Beat, Selina und Frau Wehrli hörten dem kleinen Dialog zu wie im Theater. Aufmerksam und interessiert. Und immer weniger erstarrt. Soll heißen: Die Salzsäule bröckelt e. Als der Name Frischknecht fiel, zuckte Beat sogar kurz, fast unmerklich, zusammen.
    »Die spinnt doch!« Darin waren sich Plotek und Vinzi einig.
    »Wenn die weniger die Nacht zum Tag machen würde, hätte sie vielleicht eher den Durchblick«, sagte Plotek erbost, woraufhin Beat erneut, jetzt deutlich sichtbarer, zusammenzuckte.
    Auch Selina löste sich nun gänzlich aus der Erstarrung.
    »Wie meinen Sie das?« Damit streifte sie auch die bloße Zuschauerrolle ab. Der Grund: zu großes Interesse oder zeitweiliges Verständnisdefizit. Sie sah auf jeden Fall aus, als würde sie das wirklich wissen wollen. Plotek war nun ein wenig eingeschüchtert. Wenn ein Engel plötzlich zur Privataudienz lädt, können einem schon mal die Handflächen feucht werden.
    »Die Kriminalhauptkommissarin ermittelt nicht nur«, kam von Plotek zuerst zögerlich, dann doch entschlossen. »Sie ist auch ein Mensch, eine Frau, wenn Sie verstehen, was ich meine?«
    »Nein, nicht ganz.« Der Engel schien noch immer Verständnisschwierigkeiten zu haben.
    »Fragen Sie Beat, der weiß es bestimmt.«
    Beat hob die Hände wie zur Kapitulation und ergänzte diese Geste mit einem verwunderten Blick, als wollte er sagen: »Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts.«
    Schlechtes Schauspiel, dachte Plotek und: wenn schon Hase, dann Rammler!
    »Ein anonymer Anrufer hat ihn belastet«, mischte sich nun Vinzi wieder in das Gespräch ein. »Sie haben sein Zimmer durchsucht.«
    »Und das Motiv?«, fragte Selina, nun an Vinzi gewandt.
    »Hmm«, machte Vinzi und sagte: »Die beiden galten als die aussichtsreichsten Kandidaten.«
    »Der Finne und der im Wald?«, fragte Selina.
    Vinzi bejahte. Woraufhin Plotek abschätzig lachte. »Bei so einem lächerlichen Wettbewerb ist der Beste doch kein Feind des Guten.«
    Strenge Blicke kamen jetzt von Beat. Auch Ilona Wehrli bekam wieder was vom Freisler und sagte: »Haben Sie eigentlich schon Karten?«
    »Wofür?«, fragte Plotek, dem der Zusammenhang verborgen blieb.
    »Den Wettbewerb.« Flankiert von einem bissigen Lächeln. »Sollten Sie sich mal drum kümmern.«
    Eine unangenehme Stille lag jetzt auf der Terrasse. Beat sah betreten zu Boden. Selinas Gesicht war mit Falten geschmückt, als wären ihre Gedanken auf der Suche nach einer Erklärung. Die Alte grinste überheblich, und Vinzi und Plotek schwiegen.
    Dann sagte Ilona Wehrli wie die Queen zu ihrem untergebenen Volk: »Sonst ist es ausverkauft. Wäre doch auch schade, oder?«
    »Beat besorgt uns bestimmt welche, nicht wahr?« Plotek warf Beat einen Blick zu, als müsste der ganz genau wissen, worum es geht. Ilona Wehrli hingegen schien dafür gar kein Verständnis zu haben und belagerte ihrerseits Beat mit Blicken von ganz anderem Kaliber. Freisler stumm!
    Mit »Na los, komm, wir