Silver - Erbe der Nacht (German Edition)
ihr die Seele aus der Brust. Der körperliche Schmerz war nichts im Vergleich zu dieser neuen Pein. Aber sie konnte nicht aufgeben, noch nicht.
Der Sturm der MACHT änderte seine Richtung, reagierte damit auf ihren klarsten und zerstörerischsten Wunsch. Der Altar begann, ihn zu verschlingen, sog ihn mit Gewalt aus ihr heraus und durch sie hindurch.
Es war entsetzlich. Es nahm ihr den Atem, verbrauchte all ihre Energie, zerstörte ihre Lebenskraft, verschlang gleichzeitig aber auch die Kraft des Bandes.
Winter fühlte sich entleert, aufgezehrt.
Sie konnte es ertragen. Im Grunde genommen war der Preis nicht zu hoch.
»Ich muss sie hier wegbringen.«
Die Stimme ihres Vaters erreichte sie wie ein harmonischer, aber völlig falscher Klang.
Tut mir leid, Papa , dachte Winter und überließ sich dem Feuer, das sie verzehrte. Ich kann es nicht zulassen .
Die MACHT der beiden Geschlechter reagierte auf ihren Befehl.
Die Krypta des Gründerpaars begann in sich zusammenzustürzen.
Kaum hatte Gareth seine Fesseln gelöst, stürzte Cameron Farland zum Altar, ungeachtet der einbrechenden Decke.
Die MACHT erreichte ihren Höhepunkt, dann beruhigte sie sich ganz plötzlich und ließ die Krypta in einer regungslosen, irrealen Ruhe zurück.
Daraufhin begann die Erde wieder abzusacken und zwang ihn, sich mit einem Sprung zur gegenüberliegenden Wand zu retten.
Eine dichte Wolke aus Staub und Schutt trennte ihn nun von den anderen.
Während Morgan und Vaughan schreckgelähmt auf den Silberkreis starrten, verstummte Winter. Eine weitere schreckliche Zuckung durchfuhr ihren Körper.
Ihr Rücken krümmte sich zu einem unnatürlichen Bogen, dann entspannten sich ihre Muskeln ganz plötzlich und sie fiel auf den blutbefleckten Stein zurück.
Dort blieb sie reglos liegen.
»Nein!«
Der Schrei ihres Vaters übertönte den Einsturzlärm.
Vaughan lief zu ihr und ertastete langsam ihre Kehle, auf der Suche nach ihrem Pulsschlag. Sie lag so still …
»Sag, dass es nicht wahr ist, Mädchen! Atme, Winter. Verflucht, atme endlich!«
Ein neues Beben der Erde warf ihn zu Boden. Dann gab die Decke vollständig nach und der Altar verschwand unter einem Haufen Schutt.
»Winter!«
Morgan wand sich verzweifelt und versuchte, sich aus dem Griff Dougalls zu befreien.
»Lass mich los! Mein Kind liegt dadrunter! Lass mich los, Doug!«
Dougall verstärkte seinen Griff. »Wir müssen weg hier, Blackey, es ist gefährlich.«
»Ich kann meine Tochter nicht zurücklassen!«
Dougall seufzte und sah ihm fest in die Augen. »Es tut mir leid, Blackey. Ich muss die Jungs rausbringen, und ohne dich schaffe ich es nicht. Gib nicht gerade jetzt auf, mein Freund …«
W inter …«
Allein ihren Namen wieder aussprechen zu können, ließ ihn sanft erschauern. Rhys versenkte seine Augen in das Silbergrau der ihren.
Frisches, reines Wasser. Das waren ihre Augen, eine klare Quelle, in der jede Schuld vergehen würde.
Aber ihr Bild war so verschwommen … Es pulsierte bei jedem Atemzug, körperlos …
Sie befanden sich an einem Ort, der an den Garten der Loge erinnerte, aber Blütenblätter oder Schnee schienen ihn zu bedecken, und alles verschwamm in einem weichen, milden Licht.
Rhys versuchte, ihr näher zu kommen. Er machte ein paar Schritte. Der Abstand war gering, warum schaffte er es bloß nicht, sie zu erreichen?
»Wo bist du?«
Winter lächelte ihn sanft an. Sie trug ein langes Kleid aus Gaze, das ihren Körper umspielte und von einem Windhauch gebauscht wurde, den Rhys nicht spürte.
»Weit weg, mein Liebster«, antwortete sie flüsternd. »Unendlich weit weg.«
Ihre langen Haare fielen seidig über die Schultern und die Lippen bildeten eine weiche Kurve.
Sie wirkte so zart in diesem Moment, so rein und heiter.
»Du fehlst mir, Winter«, sagte Rhys.
Sie sah ihn durch die Wimpern hindurch an, das Gesicht seitlich geneigt.
»Du mir auch«, gestand sie ihm. Aber ihr Blick war klar und freudig. Die Unruhe, die sonst auf ihr lastete, war verschwunden.
Merkwürdigerweise erschreckte das Rhys beinahe.
»Bald werden wir wieder zusammen sein«, flüsterte er. »Das ist ein Versprechen, weißt du …«
Winter hob einen Arm, und auf einmal war sie ganz nah, trotz der irrationalen Entfernung des Traums. Sie strich über sein Gesicht, ohne es zu berühren, fuhr seine Linien nach. Es war, als streichle ihn der Wind.
Einen Augenblick lang kam Rhys sich vor, als umhülle ihn ein frisches, tröstliches Leuchten.
»Oh nein, mein Liebster«,
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