Silver - Erbe der Nacht (German Edition)
gerissen, wenn sie gestorben wäre, aber das ist nicht passiert.«
Gareth fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Diese Unterhaltung war mehr, als er ertragen konnte.
»Schön wär’s! Aber ihr Körper wurde unter Westminster begraben«, sagte er leise, »in der Krypta der Ratsgründer.«
Rhys schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Das ist nicht wahr«, rief er, jedes Wort betonend. Es war eine Täuschung. Nichts als ein Versuch, seine Pläne zu durchkreuzen. »Ich wüsste es, Chiplin. Ich bin mir sicher, dass ich es wüsste.«
»Nicht, wenn es ihr gelungen ist, das Band, das euch vereinte, noch rechtzeitig zu durchtrennen. Und ich hoffe von ganzem Herzen, dass es so ist, denn sie ist gestorben, als sie es versucht hat.«
Aus Rhys’ Gesicht wich alle Farbe, und eiskalter Zweifel begann durch seine Venen zu kriechen.
›Dies ist ein Abschied‹, hatte sie im Traum zu ihm gesagt.
Gareth sah ihn mit einer Mischung aus Hass und Mitleid an.
»In der Krypta der Gründer war ein Altar. Sie musste eure Verbindung durchtrennen … Ich weiß nicht, was schiefgegangen ist, aber die MACHT hat sie getötet.« Die Worte kamen alle auf einmal und verhedderten sich. »Sie ist vor meinen Augen gestorben, Llewelyn, und du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich beneide, dass dir dieser Anblick erspart blieb. Ich werde diesen Moment mein ganzes Leben lang nicht vergessen.«
»Ihr hättet sie davon abhalten müssen!«
Gareths Faustschlag traf ihn mitten ins Gesicht und sein Kopf kippte seitlich weg.
»Ach ja? Und wie, nachdem du ihr keine andere Wahl gelassen hast?«, schrie er. »Sie hat dich geliebt! Sie hat dich angefleht aufzuhören. Hast du etwa auf sie gehört?«
Gareth sah ihn an, und Rhys wandte ihm das Gesicht wieder zu. Dann saß er regungslos da, aus seinem Blick war alles Licht gewichen.
»Ich habe sie geliebt«, flüsterte er tonlos.
»Du hast noch immer den Mut, das Wort auszusprechen? Diese Liebe hast du bereits vor Monaten der MACHT geopfert. Das war es, was sie zerstört hat, verstehst du das immer noch nicht?«
Sie starrten sich feindselig an, auf bizarre Weise in ihrem Schmerz vereint. Und doch bereit, einander zu bekämpfen.
»Wir hätten sie aufhalten sollen?«, wiederholte Gareth. »Weißt du was, Llewelyn? Jetzt ist sie endlich frei. Sie hat dir nicht erlaubt, sie mit dir ins Verderben zu ziehen.«
Rhys ließ seine Ellbogen auf den Tisch sinken. Seine ganze Wut, sein Groll, alles, was er bis zu diesem Moment empfunden hatte, war von ihm gewichen.
Er nahm den Kopf zwischen die Hände. Das Gefühl der Leere, das er seit der Nacht, in der er von ihr geträumt hatte, in Schach gehalten hatte, packte ihn, drohte ihn zu verschlingen.
»Wenn ich es bloß gewusst hätte … Aber ich habe nicht einmal versuchen können, sie zu retten.«
Jetzt war alles sinnlos. Das, was er getan hatte, was ihn erwartete. Nichts hatte mehr einen Sinn, nachdem sie gegangen war …
»Ich hätte es geschafft.«
Gareth sah ihn mit unendlicher Verachtung an. »Ja, du hättest ihr nur folgen müssen, als sie dich darum gebeten hat.«
Einen Augenblick später war er allein in dem verwaisten Übungslokal.
B ei den Chiplins zu Hause stieg Eleri aus der Dusche.
Sie ging zum Waschbecken und blieb vor dem beschlagenen Spiegel stehen. Es war nichts weiter als eine Gewohnheit: Ihr Körper führte automatisch die vertrauten Gesten aus, während ihr Geist umherschweifte.
Sie begann, ihre blonden Haare mit einem Handtuch abzutrocknen, und merkwürdigerweise war das der Moment, in dem ihr dieses untätige Überleben bewusst wurde.
Es ist deine Schuld .
Sie wiederholte es sich seit Tagen, überzeugt davon, dass Winter nicht gestorben wäre, wenn sie das Ritual nicht ihretwegen unterbrochen hätten. Ihretwegen hatte Gareth Winters Zimmertür geöffnet und entdeckt, dass sie nicht da war. Sie war es, die verstanden hatte, wo ihre Freundin war und was sie im Begriff war zu tun.
Wäre sie nur eine Stunde später in London angekommen, hätte sie Winter zu ihrem Erfolg gratuliert, anstatt sie sterben zu sehen.
Du bist die Ursache , wiederholte die Stimme tief in ihrem Bauch.
Ich weiß , gestand sie, während sie ihre Haare mit dem Handtuch abrieb, als hätte es noch irgendeine Bedeutung, ihre Haare zu trocknen. Ich weiß .
Es zuzugeben, einfach zuzugeben, war beinahe tröstlich.
Dann verspürte sie einen Anflug von Angst. Es war ihre Schuld, dass Winter tot war, aber könnte sie sich im Spiegel ansehen und die Worte
Weitere Kostenlose Bücher