Silver - Erbe der Nacht (German Edition)
spürte, dass sich ihre Augen mit unterdrückten Tränen füllten.
»Ich habe eine schlechte Nachricht, Winter.«
Sie schüttelte den Kopf. Das konnte sie nicht ertragen.
Es kam ihr vor, als sei im Moment alles um sie herum zu groß, zu schrecklich und endgültig.
Sie wünschte sich, in die Arme ihres Vaters zu fallen wie ein kleines Mädchen, um sich endlich beschützt zu fühlen.
Er war nie da, wenn du ihn gebraucht hast , rief eine grausame Stimme ihr in Erinnerung, du kannst nur auf dich selber zählen .
Sie presste die Lippen zusammen.
»Okay«, erwiderte sie und achtete nicht auf den angespannten Ton ihrer Stimme. »Ich bin bereit.«
Morgan seufzte auf. »Der Exekutor hat uns eben kontaktiert …«
Nein … , wiederholte sie fieberhaft, nein, nein … nein!
»Der Großmeister wurde heute Nacht ermordet.«
Sie spürte, wie sie erbleichte. Das Entsetzen lähmte sie, zu sprechen kostete sie eine unermessliche Anstrengung.
Rhys …
»Weiß man, wer es gewesen ist?«
Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Nein, aber die Untersuchungen laufen.«
Die Erleichterung erfasste sie so heftig, dass sie sich schämte.
Er ist es nicht gewesen , dachte sie aufgebracht. Das kannst du nicht wirklich glauben!
Sie ballte die Fäuste. Wenn sie auch nur die geringste Bewegung gemacht hätte, wäre sie auseinandergebrochen.
Als Morgan sie umarmte, ließ sie es mit sich geschehen, froh, dass sie damit seinem Blick ausweichen konnte.
Du musst widerstehen , befahl Winter sich und biss sich auf die Lippen, damit sie nicht sprechen konnte.
Wenn sie den Mund geöffnet hätte, wäre es ihr nicht mehr gelungen, sich zurückzuhalten. Dann hätte sie ihrem Vater erzählt, dass sie einen Vampir liebte und ihm Unsterblichkeit geschenkt hatte. Dass sie die dunkelste Seite an sich akzeptiert hatte, aber nur unter der Bedingung, dass es sie mit Rhys verband. Und sie hätte ihm verraten, dass sie in ihrem allerschlimmsten Albtraum gesehen hatte, wie er Alaric Lochinvar getötet hatte, in der Hoffnung, er würde sie trösten.
Aber ihr Vater würde sie nicht trösten. Und sie hätte Rhys in Gefahr gebracht.
Sie musste ihn beschützen. Sie musste an ihn glauben.
»Wir verlassen die Insel so bald wie möglich, mein Schatz. Malcolm und ich müssen in die Londoner Loge. Du und Mrs Davies könnt bei deiner Großmutter unterkommen.«
London … Rhys befand sich ebenfalls in London. Winters Herz setzte für einen Schlag aus. Sie würde ihn wiedersehen.
Alles schien in diesem Moment einzubrechen und sich wieder zusammenzusetzen: die Verwirrung, die Ungewissheit, der Schmerz über die Schwierigkeiten, die man ihr zugemutet hatte … Alles begann sich aufzulösen.
Winter schluckte den Kloß im Hals hinunter. Sie zwang sich zu einer aufrechten Haltung, klammerte sich mit aller Kraft an diese Hoffnung.
Alles andere muss warten , entschied sie in den Armen ihres Vaters. Sie würde Rhys sehen. Es würde ihr reichen, ihm in die Augen zu schauen, um zu erkennen, wie dumm es gewesen war, an ihm zu zweifeln, um mit ihm über den bösen Traum lachen zu können.
Ich liebe dich, Rhys. Ich vertraue dir .
In der Bibliothek des Rats verlor Gareth langsam die Geduld. Informationen über die ominöse Silberkrone zu finden erwies sich als ein schier hoffnungsloses Unternehmen.
Du lässt dich von Vaughan verrückt machen , sagte er sich mit einer nicht ganz aufrichtigen Ironie. Er hat bereits einmal alle hinters Licht geführt, warum sollte er es nicht wieder tun?
In der Stille des riesigen Lesesaals erinnerte ihn das Ticken der Uhr daran, dass die ihm zur Verfügung stehende Zeit fast abgelaufen war.
Er schloss entmutigt das Buch und schlug ein beliebiges anderes auf.
Darin ging es um die Geschichte des Rats, von den Ursprüngen bis zur Gegenwart.
Er überflog die ersten Zeilen jeder Seite und erkannte, dass es sich um eine Abschrift historischer Chroniken handelte, in einem gehobenen und fast unlesbaren Stil.
Nur wenige Namen in diesen Texten waren ihm vertraut.
Er stolperte über einen gewissen Owein Chiplin, der im 17. Jahrhundert gelebt hatte, und für kurze Zeit konzentrierte sich seine Aufmerksamkeit auf diesen wahrscheinlichen Vorfahren.
»Grandios, Gareth«, stöhnte er und schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu ordnen. »Aber nicht von Interesse.«
Bevor er mit der Lektüre fortfahren konnte, rief ihn die Bibliotheksangestellte mit einem Handzeichen zu sich.
»Ich schließe gleich«, verkündete sie resolut.
Der Junge nickte und
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