Silver Moon
noch nicht einmal mehr. Er war einfach nur ein Freund, ein Vertrauter, jemand, den ich sehr gerne hatte!
»Wollt ihr jetzt aufstehen, oder was ist los?«, ließ Kai nicht locker.
»Ist ja gut, ich komme schon!«
»Wieso bist du eigentlich immer noch müde? Was habt ihr die ganze Nacht getrieben?«, fragte Kai, während ich in meine Jeans schlüpfte. »Geritten!«
»Bitte? Was habt ihr gemacht?« Ich musste über Kais Gesichtsausdruck schmunzeln. »Wir sind geritten!«
»Sag bloß, der Wolf kann auch noch reiten?«
»Nein, und nenn ihn nicht immer ›den Wolf‹, er hat auch einen Namen. Ich bin mit Yuma geritten!«
»So deutlich brauchst du jetzt auch wieder nicht zu werden!«
»KAI! Geht’s dir noch ganz gut? Ich bin mit Yuma ausgeritten, auf einem Pferd, bis heute Morgen, und es war traumhaft schön!«, verteidigte ich mich lautstark. »Hey, Schwesterchen, ein Spaß wird wohl noch erlaubt sein! Apropos Yuma, wo steckt der Kerl eigentlich? Ich habe ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen! Das letzte Mal beim Dakota-Fest!«
»Wo Yuma steckt? Tja, das solltest du mal deine Freundin fragen! Und für den Fall, dass sie sich dir anvertraut, gib mir bitte kurz Bescheid, dann verstecke ich mich schnell in ihrem Schrank!«
Diesen Kommentar konnte ich mir leider nicht verkneifen.
Kai blickte verwirrt zu Anouk, die sogleich ihren Kopf senkte.
»Ist ’ne lange Geschichte, die euch jemand anders erzählen sollte«, flüsterte sie beschämt. »So viel dazu!«, sagte ich und verschwand ins Badezimmer. Dort hallten Kais Worte nachhaltig in mir. Seitdem er bei den Moores war, verhielt er sich befremdlich. Daheim war er der stille, vor sich hin leidende Typ, und hier … das genaue Gegenteil! Ich fragte mich gerade, welchen Kai ich lieber mochte. Während ich darüber nachdachte, klopfte er an die Badezimmertür.
»Kira, beeil dich! Du musst mit zu Nino kommen, der macht Terror. Er will unbedingt heim und …« Ich stieß die Türe auf.
»Was will er? Nach Hause? Wieso?«, fragte ich fassungslos und kämmte mir unterdessen die Haare weiter. »Er will heim und ein paar Sachen holen! Seinen Malkram und Klamotten. Aber ich weiß nicht recht, finde es halt zu gefährlich, und du bist die Älteste, du musst entscheiden!«
»Na, ganz toll! Der kann doch jetzt nicht heim! Wenn Vater ihn erwischt … Oh Gott, das geht nicht!« Mir wurde angst und bange.
»Das habe ich ihm auch gesagt, aber das Bürschchen hört nicht. Rede du mit ihm, er ist mit Mia im Obstgarten, sie pflücken gerade Kirschen.« Sogleich machte ich mich mit Sakima auf den Weg. Nino war hartnäckiger, als ich dachte. Er verteidigte seine Position vehement und ließ sich nicht davon abbringen.
»Es ist bald Nachmittag und Vater wie immer in der Kneipe. Nie würde er daheimbleiben, selbst wenn wir tot wären, würde er gehen – und erst recht, wenn wir alle weg sind! Das Haus ist leer, vollkommen leer, ich habe also nichts zu befürchten!« Ich blickte Nino weiterhin skeptisch an. »Kira, wir haben alle nichts zum Umziehen, keine persönlichen Sachen, gar nichts! Ich brauche meine Stifte, die Zeichenblöcke, ’ne andere Hose. Verdammt – ich habe tagelang nur in dem blöden Keller gehockt, ich will einfach mal wieder in mein Zimmer und die Gegenstände holen, die mir fehlen!«
»Das würden wir alle gerne, Nino! Mir zum Beispiel fehlt am meisten der kleine Traumfänger von Yuma, der zu Hause an meinem Bett hängt! Klamotten habe ich auch nur die, die ich gerade trage, und zu allem Überfluss steht auch noch mein Auto zu Hause auf dem Hof! Aber trotzdem ist es das alles nicht wert, um uns einer solchen Gefahr auszusetzen! Wenn Vater einen von uns in die Finger bekommt, bringt er uns glatt um!«, machte ich ihm deutlich und Nino schien einsichtig zu werden. »Also schön, bleib ich halt hier. Dann geh ich jetzt zu Tunkasila und helfe ihm bei der Vorbereitung für das Fest!«
»Was für ein Fest?«
»Er möchte unsere Rettung gebührend feiern! Für Tunkasila hat nichts eine größere Bedeutung als die Freiheit der Menschen. Die Vorstellung, gefangen und eingesperrt zu sein, ist vermutlich für ihn als Indianer besonders schlimm. Jedenfalls möchte er heute Abend ein Fest ausrichten, ganz nach Tradition der Sioux«, berichtete Nino. Und so kam es auch. Alle Moores halfen bei der Vorbereitung und meine Geschwister waren ebenfalls eifrig bei der Sache. Kai baute mit Jacy ein riesiges Tipi auf, Nino und Bob richteten daneben die Feuerstelle her. Darauf
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