Silvermind (German Edition)
Notnagel oder Platzhalter benutzen konnte. Er hatte gewisse Prioritäten. Selbst wenn Nero der Leader war, so gab es Grenzen, die dieser einzuhalten hatte.
„He Lackaffe, willst du die ganze Zeit nutzlos in der Gegend rumstehen?“, herrschte Nero ihn an und Ray zuckte zusammen. Augenblicklich tauchte er aus seinen Gedanken auf.
„Ich muss mit dir reden.“
„Ach? Aber nicht jetzt. Marsch ab und nimm dir eine Gitarre. Wir proben jetzt.“
„Danach“.
Ray ließ nicht locker. Er würde ihm die Situation erklären müssen. Nero wandte sich ihm zu und presste die Lippen zu schmalen Strichen.
„Du tust gut daran, mich nicht weiter zu nerven. Sonst überlebst du die nächsten Stunden nicht.“
„Fahr runter Nero. Ich hab dir nur was gesagt.“ Innerlich begann Ray zu kochen. Eingebildetes Arschloch.
„Ich hab´s vernommen“, raunzte Nero und zog Leine. Mit einem unüberhörbaren Fluch griff Ray nach einer E-Gitarre. Wütend verkabelte er das Instrument mit einem Verstärker und ignorierte die Blicke, die ihm zugeworfen wurden. Nur einmal hob er den Kopf, um genau in braune Augen zu schauen, die ihn akribisch musterten. Das ´Glotz nicht so blöd`, verbiss er sich gerade noch. Er hatte keinen Bedarf, sich bereits am Anfang mit Nero anzulegen. Obwohl das streng genommen passiert war.
Er trat neben den Leader, stellte das Mikro ein und verbarg das Gesicht hinter seinen langen Haaren. Als erstes Lied kam ´Survivor`, das er bereits am ersten Akkord erkannt hätte. Ray lauschte auf das Anzählen des Schlagzeugers, fing dann an zu spielen. Mit einem Stirnrunzeln hörte er, dass der Frontsänger ab und an mit der Stimme wegbrach. Als der Refrain einsetzte, fehlte die Stimme, die Nero unterstützte. Ray konnte sich nicht daran erinnern, dass Neo damals an dieser Stelle mitgesungen hatte.
„Scheiße!“, fluchte Nero plötzlich, sie waren nicht einmal mit dem Lied durch, als der vom
Mikro trat und die Haare raufte. Die Band verstummte. Ray hob den Kopf und sah ihn an.
„Was ist?“, fragte Mark.
Nero fluchte nur. Er konnte das verstehen. Dass einem plötzlich die Stimme fehlte, war auf der Bühne fatal. Entweder war es heute das erste Mal passiert, was Ray schwer bezweifelte, oder es hatte nie jemand gemerkt, wie sich der Kerl durch den Titel quälte.
„Nero?“, richtete Ray an ihn. Erstaunlicherweise drehte sich der zu ihm um. Egal wie schlecht gelaunt der Typ war, Rays Wesen verbot ihm, Nero jetzt hängen zu lassen. Zumal kein anderer davon Kenntnis zu nehmen schien, dass der Leader innerlich völlig aufgebracht war. Versagen, das konnte man sich im Showbusiness nicht leisten.
„Lass uns nochmal anfangen“, meinte er. Dabei sah er Nero eindringlich an. Er hoffte, dass der Kerl verstand, was er damit sagen wollte. Scheinbar funktionierte das, denn Nero nickte leicht. Als alle wieder auf ihren Plätzen waren, wurde erneut angezählt. Dieses Mal unterstützte Ray die schwierigen Passagen, sodass Nero nicht völlig hoch touren musste. Da die Zusammenarbeit funktionierte, spielten sie den Titel bis zum Ende durch.
Es war ein Blick, den Nero ihm am Schluss zuwarf, der deutliche Dankbarkeit ausstrahlte. Ray nickte kaum merklich. Damit hatte er bewiesen, entgegen der Erwartung des Leaders, dass ihre Zusammenarbeit klappte. Die wortlose Kommunikation hielt das ganze Set über an, und jedes Mal, wenn Ray merkte, dass Nero Hilfe brauchte, sprang er ein. Zusätzlich zu den Passagen, die er ohnehin sang. Nach zwei Stunden erfolgreicher Probe packte die Band zufrieden zusammen.
Ray war gerade dabei, die Gitarre in einen Koffer zu verfrachten, als er merkte, dass jemand hinter ihm stand. Er sah über die Schulter, erblickte lange Beine, die in schwarzem Leder steckten. Nero
„Du wolltest reden“, meinte dieser, während Ray sich auf die Verschlüsse des Koffers konzentrierte.
„Ja, das hatte ich.“
„Also?“
Ray stand auf und schaute Nero stirnrunzelnd an.
„Nicht zwischen Tür und Angel. Lass uns das draußen klären.“
Nero zuckte mit den Schultern.
„Okay. Ich bin am Eingang.“
Nachdenklich legte er den Koffer beiseite. Er warf Nero einen Blick hinterher, der gerade seine Tasche schulterte. Der Frontsänger erschien ihm ungeheuer launisch.
Ray tat es ihm gleich, schnappte seine Sachen und verabschiedete sich von den anderen. Dean entdeckte er am Treppenaufgang, der ihm kurz zunickte und ihn passieren ließ. Ray entsann sich, dass es zwischen ihnen noch eine Sache
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