Simulacron-Drei
Übrigens haben wir noch ein Problem. Wir werden Cau No verlieren.«
»Wen?«
»Cau No. Er ist der ›Durchschnittseinwanderer‹ in unserer Bevölkerung. Ein Burmese. IDE-4313. Ashton meldete vor einer halben Stunde, daß er einen Selbstmordversuch unternommen habe.«
»Warum?«
»Soweit ich es verstehen konnte, verlangten das astrologische Überlegungen. Die plötzliche Erschütterung der Umwelt überzeugte ihn davon, daß der Jüngste Tag unmittelbar bevorstehe.«
»Das läßt sich leicht beheben. Motivieren Sie ihn um. Wenn er einen Selbstmorddrang erworben hat, brauchen sie ihn nur wegzuprogrammieren.«
Chuck stand auf und ging zum Fenster.
»So einfach ist es nicht. Er wütete und tobte wegen der Meteore, Stürme, und hatte großen Zulauf. Er erklärte den Leuten, diese Naturphänomene könnten einfach nicht alle gleichzeitig stattfinden. Ashton behauptet, eine ganze Menge von ID-Wesen mache sich Gedanken über das höchst seltsame Schauspiel.«
»Oh. Das ist schlecht.«
Er zuckte die Achseln.
»Wenn es nur das wäre, hätten wir wohl wenig zu befürchten. Aber wenn noch einmal so etwas passiert, haben wir es anschließend vielleicht mit zahllosen irrationalen Reaktionseinheiten zu tun. Das beste wäre, den Simulator ein paar Tage abzuschalten, und den Sturm und die Brände vollkommen wegzuprogrammieren. Cau No muß auch weg. Seine › Besessenheit‹ sitzt zu tief.«
Nachdem er gegangen war, setzte ich mich an den Schreibtisch und nahm, ohne es eigentlich bewußt zu wollen, meinen Federhalter in die Hand. Geistesabwesend versuchte ich, Fullers Zeichnung mit dem griechischen Krieger und der Schildkröte nachzuahmen. Aber ich warf den Federhalter verärgert zur Seite, weil ich der Lösung des Problems einfach nicht näherkam. Meine Beschreibung der Skizze hatte Avery Collingsworth auf eine Idee gebracht, erinnerte ich mich – auf Zenos Paradoxon. Aber ich war überzeugt davon, daß Fullers Zeichnung weder das Paradoxon noch die daraus zu ziehende Folgerung, daß alle Bewegung unmöglich sei, bedeuten konnte.
Prüfend sprach ich mir den Satz ein paarmal vor: Alle Bewegung ist eine Illusion.
Dann wurde mir klar, daß es ein Bezugssystem gab, in dem jede Bewegung illusorisch war – im Simulator selbst. Die subjektiven Einheiten glauben, in einer körperlichen Umwelt zu agieren. Trotzdem kommen sie, obwohl sie sich dauernd bewegen, nicht vom Fleck. Wenn eine Reaktionseinheit wie beispielsweise Cau No von einem Gebäude zu einem anderen ›ging‹, geschah nichts anderes, als daß simulektronische Ströme Vorspannung an ein Gitter bringen und Umsetzer eine Speichertrommel mit diesen trügerischen ›Erfahrungen‹ beschicken.
Sollte ich nach Fullers Wunsch dieses Prinzip aus der Zeichnung herauslesen? Aber was hatte er sagen wollen?
Dann sprang ich auf.
Cau No!
Cau No war der Schlüssel. Das zeigte sich jetzt mit schmerzhafter Deutlichkeit. Die Zeichnung sollte ganz einfach das Wort ›Zeno‹ darstellen!
Wenn wir von den Einheiten in unserem Simulator sprachen oder schrieben, benützten wir stets zur Abkürzung den vollen Nachnamen und den Anfangsbuchstaben des Vornamens.
So wurde aus Cau No ›C. No‹ – das phonetische Äquivalent von ›Zeno‹!
Natürlich! Fuller hatte mir etwas Entscheidendes mitzuteilen gehabt, und er hatte die Methode größter Geheimhaltung verwendet. Er hatte die Information dem Elektronenspeicher einer Reaktionseinheit anvertraut und dann eine verschlüsselte Botschaft hinterlassen, mit der er die Einheit identifizierte!
Ich raste durch das Vorzimmer, eine verblüfft aufschauende Dorothy Ford zurücklassend.
Ich stürmte die Treppe hinauf und verfluchte mich, weil ich nicht wußte, welche ID-Station Cau Nos Speicherkonsole beherbergte.
Nachdem ich die Wandtabellen in zwei Stationen überflogen hatte, stürzte ich in eine dritte, wo ich mit Whitney zusammenprallte und ihn umrannte. Der Werkzeugkasten kippte seinen Inhalt auf den Boden.
»Der Cau-No-Schrank!« schrie ich, »wo ist er?«
Er deutete über die Schulter nach hinten. »Der vorletzte links. Aber er ist tot. Ich habe gerade alle Schaltkreise gelöscht.«
In mein Büro zurückgekehrt, ließ ich mich in einen Sessel fallen, hielt mich am Schreibtisch fest und krümmte mich unter der schwindelnden Wucht des nächsten Anfalls. Mit hämmerndem Schädel und schweißüberströmtem Gesicht, während das Summen Tausender von Wesen in meinen Ohren dröhnte, versuchte ich, gegen die Bewußtlosigkeit
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