Sind wir nun gluecklich
den Fortschritt dieser Beziehung dienen. Das schien mir ein guter Ansatz. Warum nicht? Alle reden immer vom amerikanischen Traum, dann würde ich eben in den USA einmal vom chinesischen Traum reden und die Etappen meines vierzigjährigen Lebens als strukturelle Klammer verwenden, etwas über mich selbst erzählen, vom Menschen und seinen Geschichten, für die Zuhörer leicht verständlich und kurzweilig.
Natürlich hatte ich mir schon lange Gedanken zu diesem Thema gemacht. Ich denke, dass China lange Zeit nach außen hin immer in Negation kommuniziert und eine Propaganda von Sieg und Niederlage gepflegt hat. Gerade in diesem Wort »Propaganda« steckt schon das ganze Problem. Wir haben mit Ideen und Parolen um uns geworfen wie in einem Selbstgespräch, sodass der andere gar nicht wusste, was wir eigentlich wollen, und eine Ablehnung gegen dieses Kauderwelsch entwickelte. Es war, als drehten sich unsere Verlautbarungen nur um uns selbst, ohne dass jemand sich über ihre Effektivität Gedanken machte oder wirklich vom anderen gehört und verstanden werden wollte.
Die wichtigste Veränderung, die wir diesbezüglich schaffen müssen, ist, uns wieder auf den Menschen und seine Psyche, auf verbindliche Regeln des Umgangs zu besinnen. Dafür müssen wir erst einmal eine unverkrampfte Haltung einnehmen, uns auf die Suche nach den Gemeinsamkeiten mit dem Gegenüber begeben und nicht nach den Gegensätzen. Daher war für mich mein als solcher bezeichneter Vortrag einfach nur ein Gespräch mit den amerikanischen Studenten, in dem ich ihnen meine aufrichtigen Ansichten vermitteln und nicht mit einer steifen theoretischen Abhandlung daherkommen wollte, als begäbe ich mich zu einer Audienz beim Kaiser von China. Ich hatte mir zuvor nichts außer dem Titel und einer Rahmenstruktur überlegt, alles andere würde sich von selbst ergeben.
Yale schenkte meinem Vortrag große Aufmerksamkeit, der Saal war zum Platzen voll, und viele Nachzügler mussten an der Tür abgewiesen werden. Ich wollte es so halten, wie ich es an chinesischen Unis auch immer hielt, einfach frei von der Leber weg und mit Humor Anekdoten erzählen, die etwas mit dem chinesischen Traum zu tun hatten. Danach konnten sie mir Fragen stellen, so vorbehaltlos und polemisch, wie sie wollten.
Die Universität richtete im Anschluss an den Vortrag ein kaltes Buffet aus. Die Mutter eines Studenten hatte sich den Vortrag von vorn bis hinten aufmerksam angehört und kam nun zu mir, um mich um ein Foto mit ihr in ihrem roten chinesischen Qipao 30 zu bitten. Ihr Sohn hatte nach seinem Examen in Yale aufgrund der Wirtschaftskrise keine Anstellung gefunden und war schließlich nach Shanghai gegangen, wo er etwas Passendes fand. Deshalb hatte die amerikanische Dame ein besonderes Interesse an allem Chinesischen, und es war klar, dass sie unser gemeinsames Foto bald darauf zu ihrem Sohn nach Shanghai schicken würde.
Ein japanischer Student kam eigens auf mich zu, um mir zu danken. Mit großer Ernsthaftigkeit sagte er: »Vielen Dank dafür, dass Sie die Serie ›Yansongs Blick auf Japan‹ gemacht haben. Das war für unsere beiden Länder sehr wichtig.«
Frau Wang, die aus China stammende Assistentin des Unipräsidenten, die den Vortrag organisiert hatte, sagte hinterher erleichtert:
»Ich hatte ehrlich gesagt die ganze Zeit befürchtet, Sie würden es so halten wie die meisten und vom Podest her nichts als leere Phrasen dreschen, während die Hälfte der Zuhörer den Saal verlässt. Nie hätte ich gedacht, Sie könnten so reden, dass die Leute Ihnen mit Interesse lauschen. Demnächst werde ich chinesische Gastredner mit viel größerem Vertrauen begrüßen.«
So recht wusste ich nicht, ob das eigentlich als Lob oder als Kritik zu verstehen war. War es wirklich so außergewöhnlich, dass jemand aufrichtig und vernünftig seine Meinung sagte? Ich glaube und hoffe jedenfalls, dass sich die Zeiten geändert haben und die Redner, die mir nachfolgten und folgen, natürlicher und lockerer aufgetreten sind bzw. auftreten werden.
Im Anschluss an die Rede setzten wir unsere Drehreise durch die USA fort. Ich hatte nicht erwartet, dass binnen weniger Tage der Wortlaut meiner Rede in der chinesischen Presse und im Internet kursieren würde. Warum gab es so viele Beiträge im Internet, die den Thread künstlich hochputschten und die Diskussion am Leben erhielten? Das machte mich stutzig. Vielleicht hätte ich die Rede doch ein bisschen besser vorbereiten sollen. Aber das wäre völlig
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