Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sind wir nun gluecklich

Sind wir nun gluecklich

Titel: Sind wir nun gluecklich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bai Yansong
Vom Netzwerk:
falsch gewesen, das Ergebnis wäre das Gegenteil von dem gewesen, was ich erreichen wollte. Wäre ich auf Ruhm und Erfolg aus gewesen, wäre die Sache brutal danebengegangen.
    Manche fragten mich: »In wessen Namen sprichst du eigentlich? Für den Staat? Haben die dir gesagt, was du sagen sollst?« Über solche absurden Ideen konnte ich nur bitter lachen. Die Leute wissen ja gar nicht, welchen Ärger ich wegen der im Internet verbreiteten Videos mit dem Vortrag hatte – noch in den USA, erhielt ich die Rüge: Was ist hier los? Das ist ein klarer Regelverstoß. Diese Rede war vorher nicht abgesprochen, wir bitten um eine Erklärung!
    Himmel! Ich hätte meine Rede genehmigen lassen müssen? Davon war mir nichts bekannt. Nach unzähligen Rechtfertigungen, die ich im Nachhinein liefern musste, war die Sache endlich vom Tisch. Möglicherweise war das wirklich die jahrelang übliche Praxis. Angestellte müssen sich bei ihrer Dienstausübung an die Regeln halten, nun gut. Falls diese Regel wirklich existiert, würde ich vorschlagen, sie schleunigst abzuschaffen, denn sie scheint mir doch ein wenig veraltet. 31
    Die konservativen Amerikaner und die modernen Chinesen
    Spricht man von den USA, denken viele an ein modernes Land mit einem schnellen Lebens- und Arbeitsrhythmus, Metropolen, die im Neonlicht funkeln, die niemals schlafen und die Nacht zum Tag machen, voller Bars, Restaurants und Amüsierschuppen, die Prosperität vorgaukeln, in denen die Leute lügen und betrügen und um die Wette um ihren Vorteil eifern, wo wenig Raum für zwischenmenschliche Gefühle bleibt, der Stellenwert der Familie gering ist, das Sexualleben ausschweifend und die Konsumwünsche extravagant sind, wo das Geld regiert …
    Einmal in den USA, wird ein Chinese schnell feststellen, dass die obige Beschreibung eher auf sein eigenes Land passt und mit den Staaten relativ wenig zu tun hat.
    In vielen amerikanischen Städten ist es schwer, abends nach acht noch ein geöffnetes Restaurant zu finden; je später es wird, desto schwieriger kann das sein. Selbst in New York sind um diese Tageszeit viele Straßen ruhig und menschenleer. Unter der Woche sieht man nur selten Bars, in denen die ganze Nacht gezecht und gefeiert wird, allein am Wochenende geht es etwas lebhafter zu. Für uns Journalisten, die wir ständig unter Zeitdruck standen, bedeutete das trübe Aussichten nach einem langen Arbeitstag. Ein paar von uns fingen schon an, China zu vermissen: »Wenn wir jetzt bei uns wären …« Aber wir waren nun einmal in den USA und davon abhängig, dass unser Fahrer noch ein Restaurant für uns fand, in dem wir uns die hungrigen Mägen füllen konnten. Der hatte dann auch die schlaue Idee: »Versuchen wir’s in Chinatown.« Und siehe da, dort fanden wir sogar nach 22.00 Uhr noch etwas zu essen. Überall waren die Lichter an und sagten uns, dass die Chinesen alle ihre besten Traditionen mit in die USA gebracht hatten.
    So sah es in den Großstädten aus, von den zahlreichen Kleinstädten muss man gar nicht erst reden. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit herrschte eine solche Ruhe auf den Straßen, dass uns angst und bange wurde. Nichts wie ins nächste Hotel und hoffen, dass es einigermaßen anständig war. Immerhin sagten uns die vielen Lichter, die durch Fenster und Gardinen nach draußen schienen, dass wenigstens die Familien noch ein Hort von Leben und Wärme in der Stadt zu sein schienen.
    Auf unserer Reportagetour ging ich in zahlreichen Büros großer amerikanischer Firmen ein und aus. So unterschiedlich die Dekoration dieser Büros jeweils auch war, in einem Punkt waren sie alle auffällig gleich. So gut wie auf jedem Schreibtisch stand ein Familienfoto, fröhliche Gruppenbilder zeugten vom großen Stellenwert der Familie. Vielleicht war das bloßer Zufall, aber das glaube ich nicht. Ich meinte, darin die Achse, um die sich die amerikanische Gesellschaft dreht, und den wertvollsten und besten Winkelzug der Amerikaner auszumachen. Diese ständig wiederkehrenden Familienfotos zählten nach meinem Besuch zu den stärksten Eindrücken von den USA.
    Dieses Phänomen trifft nicht nur für die USA zu, in vielen europäischen Ländern ist es noch viel augenfälliger. Der Westen ist konservativ. Viele Familien haben winzig kleine Fernsehgeräte und benutzen immer noch Videorecorder. Die Leute gehen einen Schritt langsamer, das Leben triumphiert über das Schicksal. Wenn man ihnen in die Augen sieht, meint man, darin etwas Reines und Unverfälschtes

Weitere Kostenlose Bücher