Sind wir nun gluecklich
wahrzunehmen, die Leute scheinen einfacher geworden zu sein. In Ländern, in denen der Prozess der Modernisierung schon länger andauert, meint man erleichtert festzustellen, setzt ein Prozess der Rückbesinnung ein, Rückbesinnung auf menschliche Werte, auf das Leben selbst. Nicht nur in Europa, auch in den USA und in Japan wird die Umwelt immer sauberer, das Blau des Himmels zeigt sich überall viel häufiger als bei uns. Offenbar kommt dort, wo Respekt vor menschlichen Bedürfnissen herrscht, auch der Respekt vor der Umwelt nicht zu kurz.
Mit diesen Beobachtungen will ich weder Neid oder Bewunderung für diese Gesellschaften ausdrücken oder unsere Gesellschaft kritisieren. Sie geben mir einfach zu denken, was die Zukunft Chinas betrifft. Wie lange wird es noch dauern und was liegt noch alles vor uns, bis auch unser Gesichtsausdruck wieder etwas von dieser Reinheit bekommt, zwischen der Jugend und dem Erwachsensein nicht mehr ein so riesiger Unterschied besteht? Wie werden wir lernen, unseren Schritt zu verlangsamen und das Leben als solches zu genießen? Wann werden die Familienfotos wieder einen Schreibtisch nach dem anderen zurückerobern und nicht mehr zweideutig gegenüber den Kollegen heißen: »Ich bin Single«? Und wann werden die Umweltbedingungen bei uns so sein, dass man auf den Straßen von früh bis spät Leute beim Joggen sehen kann? Und ja, wir könnten uns auch darauf freuen, dass es einfacher wird, miteinander auszukommen, dass es nicht mehr sämtlicher in fünftausendjähriger Geschichte angehäuften Talente und Weisheiten bedarf, um einander an Klugheit und Tapferkeit zu übertreffen.
Im Augenblick ist da noch nichts zu machen. Noch verharren wir auf einer Entwicklungsstufe, die vom Wunsch nach Überlegenheit geprägt ist. Es heißt, die häufigsten drei Sätze, die man in den USA von Chinesen höre, seien »Viel zu billig«, »Was gibt es sonst noch?« und »Ich nehme alles«. Das sagt alles über die Konsumverrücktheit der chinesischen Klientel. So ist es nun einmal, wir bemessen den Wert des Lebens immer noch mittels materiellem Wohlstand und sind noch weit davon entfernt, diesen Ballast abzuwerfen und in der Natur nach einer Inspiration für unser Leben zu suchen. Wir können in der jetzigen Phase nur feststellen, dass wir noch einige Hürden zu überwinden haben. Hoffentlich heißt das nicht, dass wir noch mehrere Generationen für unsere Gier opfern müssen.
Als ich aus den USA zurückkam, sagte ich einmal im Fernsehen: »Aufgrund der Gier, die im gegenwärtigen China herrscht, ist unsere Menschlichkeit auf der Strecke geblieben.« Sicher, dieser Satz klingt nicht besonders nett, aber er fand erstaunlicherweise hohen Anklang, wie man aus den Reaktionen im Internet herauslesen konnte. Ich stellte erstaunt fest, dass sich ganz allmählich unter den Leuten ein neues Bedürfnis Bahn bricht, das fern von materiellen Wünschen und nah bei menschlichen Bedürfnissen angesiedelt ist.
Es geht nicht darum, dass in den USA oder sonst wo alles besser wäre als bei uns. In den Vereinigten Staaten ist nicht alles unschuldiges Land und reine Natur, es gibt reichlich Schmutz in dieser Gesellschaft, und die Gier ist nicht nur auf der Wall Street keineswegs fremd. Aber es finden sich eben auch diese Ruhe und Stille, die einen nachdenklich stimmen. In dieser Hinsicht bin ich diesen ruhigen amerikanischen Nächten zu großem Dank verpflichtet.
Auf Augenhöhe mit den USA
Auf Augenhöhe, das heißt Abschied von der Vergangenheit, Abschied von einem langgehegten Unterlegenheitsgefühl. Gut, es ist schwierig, angesichts der enormen Unterschiede von Gleichheit zu sprechen. Einfach nur den Rücken durchzustrecken reicht nicht aus, wenn er nicht von einem starken Rückgrat getragen wird. Das heutige China hat sich dank der Steigerung der eigenen Kräfte, dank eines umfassenden Verständnisses davon, wie die Welt tickt, und dank eines größeren Selbstbewusstseins von seinem Minderwertigkeitskomplex verabschiedet. Dem Gegenüber auf Augenhöhe zu begegnen ist längst möglich, noch besser wäre nur, wirklich gleichberechtigt zu sein.
Auf Augenhöhe, das hat auch etwas mit einem unbemerkt gestiegenen Überlegenheitsgefühl und blindem Selbstvertrauen zu tun. Das ist genauso wenig normal und kann bisweilen mehr Schaden anrichten als ein Minderwertigkeitsgefühl. Vom Niedergang Amerikas kann ganz bestimmt nicht die Rede sein. In den vergangenen hundert Jahren haben die Vereinigten Staaten nicht nur eine
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