Sind wir nun gluecklich
schrieb einen spöttischen Beitrag für die Zeitung Fußball dazu und sagte, es sei völlig aussichtslos, über die Gruppenspiele hinauszukommen. Wir wurden ja danach auch tatsächlich Gruppenletzter. Ich habe nie verstanden, warum so viele chinesische Fußballexperten die Türkei als schwachen Gegner werteten. Vermutlich waren die ausgelassenen Freudenfeiern nach der WM-Qualifikation dem einen oder anderen so zu Kopf gestiegen, dass sie dort bleibenden Schaden angerichtet hatten.
Mir war dieser eine Artikel noch nicht genug. Ich veröffentlichte einen weiteren Beitrag in derselben Zeitung, diesmal eine Art »Abgesang« auf den chinesischen Fußball, dem ich nach dem Ausscheiden den Abstieg in ein tiefes Tal prophezeite, denn ist ein Traum einmal zerplatzt, lässt die Motivation nach, und die alten Probleme nehmen wieder überhand.
Ich wollte damit nicht Orakel spielen, ich wollte nur verhindern, dass ein einzelner Erfolg uns gleich den Kopf verdreht. Wir kennen doch unseren Fußball so gut wie unser eigenes Kind, seine Natur und seine Defizite sind schließlich kein Geheimnis.
Dennoch erinnere ich mich gern an den Freudentaumel auf der Chang’an in jener Nacht. Unser chaotisches Kind hatte uns überraschend eine angenehm chaotische Nacht beschert.
WM 2002: Die Tränen Batistutas und das Ende meiner Jugend
Da die Weltmeisterschaft 2002 in Asien stattfand, spielte endlich einmal die Zeitdifferenz keine Rolle. Die eisernen Fußballfans, die früher mitten in der Nacht vor dem Fernseher ausharrten, wuchsen nun zu einer weitaus größeren Fangemeinde an. In China war praktisch das ganze Volk dabei, als zum Anstoß gepfiffen wurde.
Der chinesische Fußball bekam, man muss es gestehen, durch den Rahmen der WM einen nie gekannten Glanz verliehen. Als sich das Team gegen Costa Rica schlagen und danach auch noch mit Brasilien messen musste, waren die Einschaltquoten bei den Liveübertragungen die bis dahin höchsten in der Geschichte: über 20 Prozent. Das heißt auch, dass zwar einer von fünf Chinesen sich an einem Nachmittag das Spiel gegen Brasilien ansah, aber dennoch nicht einer von 500 an einen Sieg Chinas glaubte. Anschauen musste man sich das trotzdem, und wenn es nur darum ging, den historischen Moment im Gedächtnis zu bewahren. Es heißt, sogar das Zentralkomitee der Partei habe seine Sitzung unterbrochen und sich unter die Fußballzuschauer eingereiht.
Die Mannschaft, mit der ich neben der chinesischen wie gesagt persönlich am meisten zitterte, war die argentinische Nationalelf. Ein kleiner Trost für das frühe Ausscheiden Chinas war für mich, dass es Argentinien und Frankreich auch nicht besser ging, sie mussten ebenfalls schon nach der Gruppenrunde heimfahren. Die Franzosen gewannen, genau wie die Chinesen, kein einziges Spiel und schossen kein einziges Tor. Und das waren immerhin die Champions der voraufgegangenen WM gewesen.
Argentinien legte einen guten Start hin mit einem Tor Batistutas, das den 1:0-Sieg gegen Nigeria brachte. Doch dann kam das Spiel gegen England und Owens zweifelhafter Sturz, Argentinien verlor und hatte sich in eine Sackgasse manövriert.
Wer ein echter Fußballfan ist, bereitet sich bestens auf die Unterstützung seines Favoriten vor. Umso mehr, wenn es sich um eine so unter Erfolgsdruck stehende Mannschaft wie die Argentiniens handelt. Wie soll ich sagen – ich hatte zwar nicht damit gerechnet, dass meine Favoriten nicht über die Gruppenrunde hinauskämen, aber vor dem dritten Spiel hatte ich bereits ein ungutes Gefühl und stellte mich schon einmal gedanklich auf einen möglichen Abschied vom damals 33-jährigen Gabriel Batistuta und seinen Mannen ein.
Die vorhergehenden Spiele hatte ich mir im Freundeskreis angeschaut, aber das Spiel Argentiniens gegen Schweden wollte ich mir daher lieber allein zu Gemüte führen. An diesem sonnigen Pekinger Sommertag holte ich frühzeitig meinen vierjährigen Sohn ab und ging nach Hause, um den Fernseher einzuschalten. Meinen Sohn interessierte das Spiel überhaupt nicht, ich sah mir ganz allein an, wie Schweden mit einem Freistoß in Führung ging. Dann konnte ich es nicht mehr ertragen, weiter zuzusehen. Während ich in den Hof hinunterging, überkam mich die melancholische Gewissheit: Mit diesem Nachmittag geht meine Jugend zu Ende. Und den Prolog dazu schrieb ein Fußballspiel.
Aber das war ja auch nicht irgendein Fußballspiel. Ich war, wie so viele, ein Fan von Maradona, und daher rührte auch meine ursprüngliche
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