Sind wir nun gluecklich
Austragungsorten unterwegs und hatten wenig Unterstützung, um mit dem Druck oder gewissen Unsicherheiten zurechtzukommen.
Die erste Halbzeit des Spiels Italien gegen Australien sahen Jianhong und ich in unserem WM-Studio. Im Verlauf dieses Spiels war es mit der Normalität vorbei, und die WM nahm für uns eine deprimierende Wende.
In der Halbzeitpause verließen wir unsere Fernsehstation für eine Verabredung mit dem chinesischen Generalkonsul in München, dem wir für die Unterstützung unserer Arbeit während der WM danken wollten. Das Abendessen war schon im Gange, und die Gläser waren gefüllt, als das Telefon unseres Chefs läutete. Während er lauschte, nahm sein Gesicht eine andere Farbe an. Nachdem er aufgelegt hatte, sagte er ernst: »Wir haben ein Problem: Jianxiang hat mit seinem Kommentar Mist gebaut.«
Als er uns erklärte, warum, verstanden wir sofort. 15 Die Italiener dürften sich über Jianxiangs Ausfälle gefreut haben, aber was war mit den brüskierten Australiern? Überdies wurde am nächsten Tag der australische Premierminister auf Staatsbesuch in China erwartet.
Die Stimmung war merklich abgekühlt, aber nach einer Weile stießen Jianhong und ich wieder mit unserem Chef an und redeten auf ihn ein, Huang Jianxiang wegen dieses einen Fauxpas nicht gleich zu suspendieren. Man musste die Sache richtigstellen, und damit sollte es gut sein.
Unser Chef in Deutschland, Li Ting, und der in Peking verantwortliche Sun Yusheng waren beide meine langjährigen Vorgesetzten in der Nachrichtenzentrale. Sie waren es gewohnt, bei Problemen konsequent durchzugreifen und Kontroversen zu schlichten. Was Jianxiangs Zukunft anging, setzten sie sich dafür ein, das Problem aus der Welt zu schaffen, aber nicht den Menschen loszuwerden.
Meinerseits tat ich alles, um Jianxiang dazu zu bringen, dass er sich entschuldigte. Zhang Bin, der Leiter des CCTV-Sportkanals in Peking, akzeptierte die Entschuldigung, und die Sache wurde erst einmal zu den Akten gelegt. Es ging nur noch darum, wie man Jianxiang ermöglichen konnte, die Angelegenheit wieder ins Lot zu bringen.
Der beste Lösungsansatz ist immer, dort wieder hinaufzuklettern, wo man heruntergefallen ist. Es wäre ein großer Schlag für Jianxiang gewesen, ihn von der WM abzuziehen und ihn nicht noch einmal ein Spiel kommentieren und damit seinen Fehler wiedergutmachen zu lassen. Wir schlugen eine Vorsichtsmaßnahme vor. Ich und unser Chef würden Jianxiang bei seinem nächsten Kommentar begleiten. Wenn noch jemand dabei war, war das in vieler Hinsicht beruhigend. Diese Auffassung bewahrheitete sich auch.
Also fuhr ich mit Zhou Jing, dem Vizedirektor der Sportzentrale, mit dem Zug von München nach Berlin, wo Huang Jianxiang das Achtelfinalspiel zwischen Deutschland und Argentinien kommentieren sollte. Wir sagten nicht viel, aber Jianxiang verstand sofort und machte seine Sache diesmal bravourös. Nach dem Spiel fuhren Zhou Jing und ich in der Nacht wieder zurück nach München. Unterwegs fühlte ich mich erleichtert und niedergeschlagen zugleich. Niedergeschlagen, weil Argentinien verloren hatte und draußen war, und erleichtert, weil Jianxiang noch einmal davongekommen war. Ich schickte ihm aus dem Zug eine SMS: »Ich habe verloren, aber du hast gewonnen!«
Nun schien die Sache zunächst einmal aus der Welt geschafft, doch dann, zurück in Peking, erhielt ich ein paar Monate später unerwartet einen Anruf von jemandem aus der Sportnachrichtenzentrale: »Jianxiang will gehen, rede du mit ihm.«
Ich wollte nicht, dass er geht. Ich rief Jianxiang an und sagte ihm, was ich sagen musste. Aber jede Entscheidung hat ihre Gründe, mir blieb nur, ihm für seinen weiteren Weg alles Gute zu wünschen. Ich bedaure es nach wie vor, und noch immer würde ich um Mitternacht gern wieder seine Kommentare bei uns hören.
Dass wir nicht mehr zusammen im Studio sitzen, heißt nicht, dass es zwischen uns keinen Kontakt mehr gäbe. Wir spielen weiterhin einmal pro Woche zusammen Fußball und verstehen uns so gut wie zuvor. Als Männer mittleren Alters haben wir jeder unseren Alltag und jeder einen Bereich, in dem er mehr oder weniger erfolgreich ist, aber eine Sache hat sich bei uns nicht verändert. Jedes Mal, wenn ein großes nationales oder internationales Spiel ansteht, diskutieren wir den halben Tag lang genau so hitzköpfig darüber wie einst zu den Zeiten von »Sanwei Liaozhai«. Eine Entscheidung kann richtig oder falsch sein, es genügt, wenn man hinterher richtig
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