Sind wir nun gluecklich
Begeisterung für die argentinische Nationalelf, und heute bewundere ich natürlich Messi und die anderen Mitglieder der Albiceleste. Aber keiner von ihnen nimmt in meinem Herzen den Status von Gabriel Batistuta ein. Batistuta ist ein halbes Jahr jünger als ich, wir sind also fast derselbe Jahrgang, ich war dabei, wie er mit dem Fußball groß wurde. Gut zehn Jahre lang hatte ich ihm stets über den Fernsehbildschirm hinweg die Treue gehalten, mich über seine Siege gefreut und seine Niederlagen betrauert. Als er 2001 italienischer Meister wurde, war ich außer mir vor Glück. Nie hätte ich gedacht, dass nach den großen Hoffnungen, die ich mit der WM verband, nun der Augenblick des Abschieds von meinem jüngeren Bruder gekommen sein sollte.
An jenem Nachmittag ging ich durch ein Wechselbad der Gefühle. Auch wenn ich mir sagte, dass wohl kein Wunder geschehen würde, musste ich mir doch noch das Ende des Dramas ansehen und ging wieder zurück ins Zimmer und überzeugte mich auf dem Fernseher, den ich nicht abgeschaltet hatte, dass wirklich kein Wunder geschah und sah die Tränen über Batistutas Gesicht laufen.
Ich ging wieder in den Hof, in die wärmenden Strahlen der Sonne. Mein Handy hatte ich abgeschaltet. Es gibt einige Dinge und Abschiede im Leben eines Menschen, die man allein ertragen muss.
Ich setzte mich auf eine kleine Steinbank, mein Kopf war leer, und mein kleiner Sohn, den ich nach meinem Idol »Bati« nannte, sprang fröhlich und unbeschwert um mich herum. Der kleine Bati im echten Leben war so fröhlich, wie der große auf dem Fußballfeld traurig war. Der große hatte mit einer Serie wichtiger Erfolge das Alter nicht aufhalten können. Mein kleiner hier begann gerade erst, groß zu werden. Wer den Erfolg nicht kennt, kennt auch nicht die Bitterkeit seines Verlusts, und die Zukunft gehört dem, der noch keine Erinnerungen hat.
Ich musste inmitten meiner Trübsal lächeln. Auch ich war alt geworden, genau wie Batistuta. Auf dem Fußballfeld vergehen die Jahre wie ein Witz. Während ich mich nur mit den Spuren des Alterns und den ersten grauen Strähnen in Batistutas langem Haar befasst hatte, hatte ich mein eigenes Altern darüber vergessen. Das wurde mir erst jetzt bewusst. Danke, Batistuta, danke, dass wir zusammen aufwachsen durften. Jetzt ist es mit unser beider Jugend vorbei, und du wirst demnächst so wie ich nur noch als Zuschauer beim Fußball sein. Das macht aber nichts, schließlich werden unsere Kinder groß, und auf sie können wir unsere Hoffnung setzen. Sieh sie dir an.
»Don’t cry for me, Argentina«: Wenn eine Frau einst den Argentiniern auf diese Weise Mut zusprach, dann musste ich mich wohl erst recht daran halten. Der Langhaarige aus der Pampa darf sich besiegen lassen und darf auch still darüber trauern, aber weinen darf er nicht. Maradona, gut, der durfte das, schließlich hat er im Alleingang den glorreichen Mythos Argentiniens geschaffen.
Um nach einer schmerzlichen Erfahrung neue Zuversicht zu erlangen, braucht es Zeit. Jetzt denke ich, wenn wir unsere Freude von anderen abhängig machen, dann lässt sich unsere Trauer schwer vermeiden. Aber diese vom Streben nach Ruhm und Erfolg geprägte Zeit macht es uns wirklich schwer, uns auf uns selbst zu verlassen, um glücklich zu sein. Der beste Weg ist es dennoch.
Deshalb ist auch mit dem Abschied einer Mannschaft die Fußball-WM noch nicht vorüber, und nach der WM geht auch unser Leben seinen gewohnten Gang weiter. Wer einmal auf der Flucht vor den Bürden des eigenen Lebens Trost auf dem Fußballfeld gesucht hat, wird schnell feststellen, dass der Fußball noch viel grausamer ist. Ich fühlte mich in jenem Moment auf der Steinbank auf einmal verwirrt und hilflos: Was also ist Glück? Wie lange dauert die Ewigkeit? Wie tief reicht der Schmerz, wenn man wie viel investiert hat? An was können wir noch glauben? Wo finden wir Zuflucht, wenn unsere illusorische Welt auch nicht besser ist als die wirkliche Welt?
Später am Abend musste ich doch mein Handy wieder anschalten, und glücklicherweise kam der erste Anruf, den ich erhielt, von einem alten Schulfreund. Wir sind zusammen in derselben Kleinstadt an den Rändern Chinas aufgewachsen, und nach unserer glücklichen Kindheit haben wir geheiratet und uns ins Leben gestürzt. Heute, nachdem er sich viele Jahre lang in Shenzhen durchgekämpft hat, zeigt sich ihm das Schicksal allmählich von seiner Sonnenseite, und ich freue mich für ihn. An jenem Tag teilten wir aber nur
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