Sind wir nun gluecklich
Tage wäre gerade der Tatsache zu verdanken, dass die chinesische Auswahl nicht dabei war. Jeder wählte sich seine eigene Lieblingself und erkor sie zu »seiner« Nationalmannschaft.
Für mich war es auf jeden Fall eine verrückte Zeit. Während dieses Fußballmonats verpasste ich nur ein einziges Spiel, selbst im dritten Spiel der Gruppenrunde, als zwei Spiele parallel liefen, zappte ich permanent, um bloß nichts zu verpassen.
Für mein Familienleben bedeutete die Weltmeisterschaft ein neues Kapitel. Bati, wie wir meinen damals dreizehnjährigen Sohn in der Familie rufen, machte seine ganz persönliche Reise zur Fußball-WM. Wie der Vater mutierte auch er zum Argentinien-Fan. Gleich das erste Spiel der Südamerikaner in der Vorrunde sahen wir uns gemeinsam an, beide in argentinischen Nationaltrikots. Hingerissen von den nachfolgenden Siegen der Mannschaft, wollte er das Trikot wochenlang tragen. Ich neckte ihn schon: »Pass auf, wenn du ein echter Fan bist, musst du aber nicht nur zu deiner Mannschaft halten, wenn sie siegt, sondern auch, wenn sie verliert.«
Als dann ein paar Tage später Argentinien verlor, weinte er. Das war das erste Mal, dass ich ihn wegen eines Fußballspiels Tränen vergießen sah. Mir war klar, dass von nun an sein Dasein ohne diesen Sport nicht mehr denkbar war. Es ging ihm wie jedem Fußballfan, bei dem sein Leben mit der ersten Weltmeisterschaft praktisch von vorn beginnt. Für die Generation meines Sohnes war das die WM in Südafrika.
In den ersten Tagen der WM war ich noch der Überzeugung, dass Mandela und Maradona die WM als funkelndste Namen des Ereignisses überdauern würden, aber schon zur WM-Halbzeit hatte Tintenfisch Paul dieses Terrain besetzt und stahl allen die Show. Wenn die Leute in vielen Jahren an die WM in Südafrika zurückdenken, werden ihnen zuallererst Spanien und Tintenfisch Paul in den Sinn kommen – und erst danach Maradona, Löw, Vuvuzelas, die Tränen Jeong Dae-ses und die internen Querelen der Franzosen.
Und dann wurde Paul noch durch die brasilianische Fußballlegende Pele herausgefordert. Die Wege des Herrn sind unergründlich. Pele, der Mensch, machte seltsamerweise die richtige Voraussage, während das Orakel Paul sich zwar gründlich irrte, aber trotzdem zum Mythos wurde. Kein Mensch weiß, ob Pauls hellseherische Fähigkeiten nicht doch menschlichen Faktoren geschuldet waren, aber das interessiert nach einer Weile sowieso niemanden mehr, warum nicht dieses kleine Märchen pflegen?
Vielleicht seufzt der eine oder andere: »Die Fußball-Weltmeisterschaften werden spielerisch gesehen immer uninteressanter.« Und er hat sogar recht damit. Das ist vielleicht der Weg, der nachfolgenden Fußball-Weltmeisterschaften vorbestimmt ist. Die Konkurrenz wird härter. Hier zu gewinnen ist ein Härtetest. Wer verliert, ist aus dem Rennen und fährt nach Hause. Schöner Fußball hat in einem Wettbewerb, in dem man alle vier Jahre maximal sieben Spiele zu bestehen hat, wenig Platz. Erfolg ist der Passierschein der Erfolgreichen, Schönheit ist die Grabinschrift der Schönen. Jeder weiß das, und daher braucht man sich auch nicht darüber zu beschweren. Bewunderung verdient es trotzdem.
Mitten in das Loch, das sich kurz nach der WM für die Fußballfans auftut, gibt der chinesische Fußballbund die Parole aus, sich als Gastgeber einer der nächsten Fußball-Weltmeisterschaften zu bewerben. Die Vorstellung dahinter ist vermutlich, Südafrika habe es sich ja auch geleistet, als Gastgeberland schon in der Gruppenrunde auszuscheiden, da könne China sich nicht mehr groß blamieren.
Ob China eine Fußball-WM austragen darf oder nicht, obliegt nun aber leider nicht dem Willen des chinesischen Fußballverbands, und ich fürchte, auch auf das Zentrale Nationale Sportamt kann man nicht zählen, dem es in dieser Frage ohnehin an Entschlossenheit fehlt.
Ich selbst habe einen einzigen Grund, warum ich die Fußball-WM gerne nach China holen würde. Ganz gleich, ob die Sommerolympiade, die Weltausstellung oder die Asienspiele – selbst wenn mehrere Städte daran beteiligt sind, ist ihre Austragung einer der großen Metropolen wie Peking, Shanghai oder Kanton vorbehalten. Bei einer Fußball-WM lassen sich die Spiele hingegen auf acht bis zwölf Städte verteilen, und das würde bedeuten, dass auch abgelegene Provinzen wie Sichuan, Xinjiang, die Innere Mongolei, Jilin oder Yunnan gleichberechtigt daran beteiligt sein könnten. Das wäre endlich ein wirklich gesamtchinesisches
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