Sine Culpa
lange krank …«
»Vielleicht irre ich mich, aber ich glaube nicht, dass das einen Unterschied macht.«
»Wie oft bekommt er die Anfälle und prügelt auf andere ein?« Fenwick zwang sich, die härtesten Worte zu benutzen und gleichzeitig daran zu glauben, dass sie über seinen kleinen Sohn sprachen.
»Im letzten Schuljahr ungefähr alle zwei Wochen.«
»So oft!«
»Leider ja. Früher kam es seltener vor, aber es ist schlimmer geworden. Das ist nicht nur Chris’ Schuld. Es gibt an der Schule eine Gang. Die Jungen sind älter als Chris und richtige Schläger. Wir haben versucht, sie in den Griff zu kriegen, einer wurde sogar für eine Woche suspendiert, aber genützt hat es nichts. Gott sei Dank sind die im kommenden Jahr nicht mehr bei uns, und jemand anderes kann sich mit ihnen herumärgern. Aber im letzten Jahr haben sie sich dauernd auf dem Schulhof kleinere Kinder rausgepickt und schikaniert, und dann ist Chris auf sie losgegangen.«
Trotz des Ernstes der Lage empfand Fenwick Stolz auf seinen mutigen Sohn.
»Ich weiß«, sagte sie in Reaktion auf seinen Gesichtsausdruck. »Ich finde ihn ja auch unglaublich, und wenn er sich beherrschen könnte, wäre er ein richtiger Held. So jedoch«, sie stockte und ein schmerzlicher Zug zeigte sich auf ihrem Gesicht. Fenwick sprach den Satz für sie zu Ende.
»So jedoch wird er ausgestoßen und gefürchtet.«
Sie nickte.
»In seiner Wut ist er unglaublich stark. Wenn er erst einmal angefangen hat, ist er nicht mehr zu bremsen, und die anderen Kinder wissen das. Aber mir macht mehr Sorgen, dass ein paar von den härteren Kids in seinem Alter den Kontakt zu ihm suchen, um ihn in ihre Clique aufzunehmen, während die anderen einen Bogen um ihn machen …«
»Ich dachte, er hätte in diesem Jahr mehr Freunde.«
»Ja, aber eben überwiegend die harten Jungs, die Störenfriede in seiner Klasse. Ich fürchte, dass er ihr Schläger wird und das bisschen Selbstbeherrschung, das er noch hat, von denen unterminiert wird. Er ist so einsam und leicht beeinflussbar und könnte leicht auf Abwege geraten.«
Fenwick nickte zustimmend. Es wusste, es wäre sinnlos gewesen, ihr zu widersprechen. Als junger Streifenpolizist hatte er gesehen, wie leicht Jungen durch falsche Freunde asoziale Verhaltensmuster entwickelten. Die Vorstellung, dass Chris das widerfahren könnte, machte ihm Angst.
»Seltsam ist aber, dass ich das zu Hause nie bei ihm erlebe. Er kann furchtbar schmollen, manchmal stundenlang kein Wort sagen, aber ich erlebe ihn nie gewalttätig.«
»Wie auch. Das Gewaltverhalten kommt immer nur zum Vorschein, wenn jemand verletzt wird. Ich glaube nicht, dass er das zu Hause sieht. Seine Schwester war ja auch bei mir in der Klasse, und sie ist ein reizendes Mädchen, sehr reif für ihr Alter und ungemein fürsorglich. Sie half anderen, indem sie sie getröstet hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Chris provoziert, dafür ist sie einfach zu reif. Und was Sie angeht«, sie hielt inne und wartete, bis er sie ansah.
»Mich?« Sein Mund war trocken.
»Chris vergöttert Sie. Seiner Meinung nach sind Sie ein Mensch ohne Fehler.«
»Nein, das kann nicht sein. Ich hab immer das Gefühl, dass ich ihn enttäusche.«
»Nur nach Ihren eigenen hohen Maßstäben, aber da er Sie auf ein Podest stellt, ist die Gefahr groß, dass Sie irgendwann doch einmal versagen.«
»Wie kommen Sie darauf, dass er mich vergöttert?«
»Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Am Ende des Schuljahres hab ich den Kindern die Aufgabe gegeben, einen Superhelden ihrer Wahl zu malen. Die meisten haben Spiderman oder Batman genommen. Chris hat Sie gemalt.«
Fenwick hustete, um seine Rührung zu verbergen.
»Was können wir tun, um ihm zu helfen?«, fragte er, ohne zu merken, dass er sie mit einbezog.
»Ich denke, er braucht professionelle Hilfe, solange er noch jung genug ist, um davon zu profitieren. Ich kenne etliche Kinderpsychologen, die Hilfe bei der Verarbeitung von Trauer anbieten, und einen Verhaltenspsychologen. Wenn Sie möchten, könnte ich denen Chris’ Probleme beschreiben, ohne seinen Namen zu nennen, und sie fragen, welche Therapie für ihn am besten geeignet wäre.«
»Sollte ich das nicht selbst machen?«
»Für diesen ersten Schritt wird das nicht nötig sein, obwohl Sie in die eigentliche Therapie mit einbezogen werden. Werden Sie sich die Zeit dafür nehmen?«
»Selbstverständlich!« Er war beinahe entrüstet.
»So selbstverständlich ist das gar nicht. Ich weiß von Ihrer
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