Sinnlicher Maskenball in Venedig
sich. So etwas würde er nicht tun.
Ebenso wenig wie er den Prototyp gestohlen hatte. Er hatte ihr gestanden, wie sehr er ihre Familie geliebt hatte. Und seit sie seine Familiengeschichte kannte, zweifelte sie nicht daran. Er war kein herzloser Mann, ganz im Gegenteil. Er war sensibler, als man auf den ersten Blick vermutete, auch wenn er das nicht zugeben würde. Er hatte Angst vor Gefühlen. Er hatte Angst vor Liebe.
Und sie war nicht anders. Stirnrunzelnd dachte Tina darüber nach. Warum hatte sie ihm nicht gesagt, dass sie ihn liebte? Dass sie an ihn glaubte, weil sie in ihrem tiefsten Inneren wusste, dass er es wert war?
Sie waren beide Feiglinge. Sie war kein Stück besser als er. Wie sollten sie gemeinsam ihre Zukunft planen, wenn sie einander ständig auswichen?
Entschlossen hob Tina das Kinn. Sie hatte eine Entscheidung für sich getroffen. Sie würde nicht mehr davonlaufen. Sie würde dem Leben die Stirn bieten. Sie würde aufhören mit dem Versteckspiel.
Dann schaltete sie den Computer ein und schrieb die E-Mails, die alles verändern würden.
Sie gab ihm drei Tage. Als Nico dann immer noch nicht zurück war, fragte Tina Giuseppe, ob er den Helikopter für sie bestellen könnte. Sie hatte gedacht, er würde sich weigern, doch erstaunlicherweise schien es überhaupt kein Problem für ihn zu sein. Setzte er sich über Nicos Anweisungen hinweg? Sie hatte geglaubt, Nico hätte dafür gesorgt, dass sie hier nicht wegkam.
Nach der Landung in Rom nahm sie ein Taxi zu seinem Apartment, weil sie ihn dort vermutete. Er war nicht zu Hause, doch der Portier erkannte sie und ließ sie in die Wohnung, nachdem sie behauptet hatte, sie hätte ihren Schlüssel vergessen.
Das würde sie auch demnächst erledigen müssen – sich Schlüssel zu sämtlichen seiner Wohnsitze besorgen. Dann könnte Nico sich nicht mehr vor ihr verstecken.
Ein Blick ins Schlafzimmer sagte ihr, dass er tatsächlich hier war. Während sie wartete, führte sie einige Telefonate.
Eine Stunde später ging die Tür zu dem Apartment auf. Er wirkte sehr sexy in seinem dunkelblauen Anzug. Sein Gesichtsausdruck jedoch sprach Bände. Offensichtlich hatte der Portier ihn bereits über ihre Ankunft informiert.
„Was machst du hier, Tina? Warum hast du mir nicht gesagt, dass du kommst?“
Tina erhob sich von der Couch und versuchte, seinem verärgerten Blick standzuhalten. Sein Anblick reichte aus, um sie vor Liebe für ihn schon wieder dahinschmelzen zu lassen.
„Ich bin hier, weil ich möchte, dass du mir die wahre Geschichte erzählst“, erklärte sie. „Ich weiß, dass du den Prototyp nicht gestohlen hast, Nico.“
Leise fluchend ging Nico zum Barschrank und schenkte sich ein Glas Scotch ein.
„Ich hätte ihn aber genauso gut klauen können. Es war alles mein Fehler“, sagte er und ließ sich auf einen Sessel ihr gegenüber fallen.
„Warum?“, fragte sie.
Er trank einen großen Schluck aus seinem Glas. Dann sah er sie an, und sein Blick wurde leer.
„Ich habe meinem Vater eine Kopie des Plans gezeigt, weil ich ihn um Geld bitten wollte. Er hat sich geweigert. Er meinte, er würde mir nur Geld geben, wenn ich die Motorräder baue und ein Familienunternehmen daraus mache.“ Nico schluckte hart. „Ich habe ihm gesagt, dass ich das nicht tue. Aber er hatte Freunde, die sich mit Motorrädern auskannten, und hat ihnen den Plan gezeigt. Offensichtlich waren sie begeistert und haben ihm sogar noch Investoren vermittelt. Und damit war die Finanzierung für Gavretti Manufacturing unter Dach und Fach. Renzo glaubte mir nicht. Wir haben uns angeschrien. Und ich bin gegangen und habe angefangen, für meinen Vater zu arbeiten.“
„Ich dachte, es sei dein Unternehmen gewesen?“
„Ich habe es erst Jahre später von ihm gekauft.“
Fassungslos betrachtete Tina ihn. „Das musst du Renzo erzählen.“
Sein Gesichtsausdruck wurde hart. „Ich habe es ihm damals bereits erzählt. Er hat mir nicht geglaubt.“ Nico lachte verbittert. „In seinen Augen habe ich ihn betrogen. Weil ich glaubte, ich sei etwas Besseres als er. Weil ich der reiche und privilegierte Gavretti bin.“
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie zu ihm ging und sich auf den Boden kniete, um seine Hand zu nehmen. Er war so ein guter Mann und musste sich so quälen.
„Nico“, sagte sie. „Ich glaube dir. Ich glaube dir.“
Er zog sie zu sich hoch auf seinen Schoß, und sie barg das Gesicht an seinem Hals. Er bedeutete einfach alles für sie. Sie konnte sich
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