Sintflut (German Edition)
Ruf erhalten konnte.
Er hatte viele Jahre nach dem Zugang gesucht, aber das konnte niemand wissen. Flavio und er waren immer auf der Hut gewesen, hatten das Atelier vor Tagesanbruch verlassen und erst nach Einbruch der Dunkelheit wieder betreten. Dann war das Ziel plötzlich in weite Ferne gerückt: Ein Hotel sollte gebaut werden. Der Ältestenrat wurde nervös, der verschüttete Schatz schien plötzlich nicht mehr sicher. Alle fragten sich wieder nach dem zweiten Zugang und die unauffällige Suche danach war ihm unmöglich geworden.
Da war die Tür, die zum alten Haupteingang führen musste. Ihre massiven Flügel hingen schief in den Angeln. Dahinter türmten sich Felsbrocken, die den Weg nach draußen versperrten. Sie waren bis hierher gerollt, dann aber von Tür und Mauer aufgehalten worden. Wie durch ein Wunder war die Schatzkammer verschont geblieben.
Schade um die Figuren, die er zurücklassen musste. Aber mehr, als schon in seinem Rucksack war, konnte er unmöglich tragen. Nun musste er seine Beute nur noch sicher hinausbringen. Sorgfältig achtete er darauf, dass nichts von ihm in der Kammer zurückblieb. Zum Beispiel sein altes Notizbuch, das er vor über 20 Jahren hier vergessen hatte. Er hatte fest geglaubt, es sei in einer der Wandnischen, doch es war nirgends zu sehen. Entweder er hatte es woanders vergessen, oder Ludovico hatte das Buch an sich genommen, als er nach dem Erdbeben noch einmal hier war und sich den goldenen Denker nahm.
Bevor er alles in seinen Rucksack packte, nahm er eine Goldfigur in die Hand und wischte mit seinem Jackenärmel vorsichtig den Staub ab. Es war ein kleiner Fisch mit einem Menschenkopf. Jede einzelne Schuppe war mit einem Edelstein besetzt und glitzerte im Licht seiner Taschenlampe. So ein Feuer hatten nur die besten und teuersten Juwelen. Allein dieser Fisch war ein Vermögen wert. Das eine oder andere Stück würde er für sich behalten und später auf dem Schwarzmarkt einen guten Preis damit erzielen.
Alles in allem hatte er Glück gehabt, großes Glück. Tagelang hatte er sich in Flavios Haus versteckt gehalten. Hatte mit ansehen müssen, wie sich die Lage in Pluton zuspitzte, allerdings nicht in die von ihm gewünschte Richtung. Weil außer Warten nichts zu tun war und Flavio ihn häufig alleine ließ, stöberte er im Keller des Hauses herum, das früher Ludovico gehört hatte und voll von seinen Hinterlassenschaften war.
Zuerst fand er eine Uhr, deren Reparatur ihn zwei Tage beschäftigte. Es war Ludovicos Uhr, die seit Jahrzehnten herrenlos in einer alten Tabakdose gelegen hatte. Er nahm sie auseinander, reinigte sie, setzte sie wieder zusammen, polierte sie auf Hochglanz und zog sie auf. Gegenstände aus Metall bedurften der ständigen Pflege und Wartung, wenn sie funktionieren sollten. Kein anderes Material war so anfällig für den Zahn der Zeit, die Edelmetalle natürlich ausgenommen, das war ja das Schöne an ihnen. All das hatte er von seinem Großvater gelernt, der ein leidenschaftlicher Bastler gewesen war.
Als die Uhr wieder tickte, ging er in den Keller zurück. Er stöberte weiter, stellte alles auf den Kopf. Er suchte nichts Bestimmtes, wollte aber alles erforschen, was es zu erforschen gab. Und so fand er die Waffe. In einem Korb mit alten Lappen, von Rost überzogen und kaum noch zu gebrauchen. Es war die Waffe, die er dabei gehabt hatte, als Ludovico ihn damals zu dem Schatz führte. Erst wollte er sie zurücklegen, denn sie hatte ihm nur Unglück gebracht. Doch dann nahm er sie mit in die Küche, baute sie auseinander, reinigte sie, ölte sie, setzte sie wieder zusammen. Sein Großvater wäre stolz auf ihn gewesen.
Die Patronen waren entfernt worden, aber er fand sie im selben Korb, in einen anderen schmutzigen Lappen gewickelt. Er lud die Waffe und legte sie wie eine Trophäe neben die Uhr auf den Küchentisch. Als er sein Werk genug bestaunt hatte, ging er wieder in den Keller hinab. Er war gespannt, was er noch alles zutage fördern würde.
Als Nächstes fand er eine alte Fotografie von sich und Ludovico unter einem Gipfelkreuz. Er kannte das Foto, er hatte es Ludovico selbst geschickt. ›Peleaga 1960‹ stand auf der Rückseite. Der Peleaga war ein Berg in Rumänien, der ihn wegen seiner Einsamkeit gereizt hatte. Damals war er noch jung und Ludovico schon ein reifer Mann gewesen. Der Rumäne hatte ihn beim Aufstieg eingeholt und ihm geholfen, als er hingefallen war und sich die Hand verletzt hatte. Den Rest des Weges waren sie gemeinsam
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