Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe
Blick.
„Sicherheit und Stabilität“, raunte er, „bedeutet Forschritt … Fortschritt auch für die sozial Schwachen … Geld für Instandsetzungen ist vorhanden … Keine Bürger zweiter Klasse …“
Was zu viel war, war zu viel. Schon die Wohnung schien er schlecht vertragen zu haben. Und dann noch ihre ungepflegte Bewohnerin, ihre unklaren Worte, ihre unerklärlichen Stimmungsschwankungen. Zu viele Un’s hausten mit ihr in diesen zwei engen Zimmern.
Als die Männer ins Treppenhaus stürzten, wuselten ihnen drei stürmische Rangen entgegen und warfen sie beinahe um. Ihre lappigen Kleider waren über und über mit Farbe bekleckert, und auch in den aschblonden Haaren klebte eine Menge undefinierbares Zeug. Rudi, der jüngste der drei, prallte gegen Walter Gerstschneider und hinterließ einen öligen Fleck auf seiner Hose.
„Besuch gehabt?“, krähte Harri, der mittlere.
Frau Kapf sah den Männern nach, bis sie verschwunden waren und das vertraute knallende Geräusch anzeigte, dass einer von ihnen verzweifelt versuchte, die Haustür zuzuschlagen, die immer wieder aufsprang. Schließlich gab er es auf. Das Geräusch eines wegfahrenden Autos schloss sich nur wenige Sekunden später an.
„Wer war das?“, fragte Tommi, der keine Gelegenheit gehabt hatte, sich die Besucher anzusehen.
„‘ne Zeichnung, nehm ich an“, antwortete die Mutter. Sie sagte es in einer Mischung aus Humor, Nachdenklichkeit und Schockzustand. Dann wandte sie sich um und kehrte mit ihren Kindern zurück in ihre winzige, schmutzige, bunte Wohnung. Sie fühlte sich wie eine Tiermutter, die ihre Jungen in den engen Bau schleppte. In einen Bau, der jeden Moment einstürzen konnte.
8
Frau Kapf stimmte für Gerstschneider, und am Tag danach erfuhr sie von Frau Salensky, dass er die Wahl gewonnen hatte. Ein Zeitungsabonnement konnte sie sich nicht leisten, und der tragbare Schwarzweißfernseher, den ihr Mann vor Jahren vom Sperrmüll mit nach Hause gebracht hatte, brachte nur das zweite Programm und kein Regionalfernsehen. Nochmals zwei Tage später begannen in der ganzen Stadt kleine Laster und Lieferwagen, die zahllosen Holzgestelle mit den Wahlplakaten wieder einzusammeln. Auch in ihre Straße kamen sie.
Diesmal war es kein weißes Auto, sondern ein dunkelblaues, und die Männer, die ausstiegen, waren gut doppelt so alt wie die jungen Kerle, die die Plakate aufgestellt hatten. Frau Tritschler sah dies ganz genau, denn auch an diesem Nachmittag befand sie sich vor dem Haus, den Gehsteig und die Einfahrt kehrend, die davon kein bisschen sauberer wurden.
Und Frau Tritschler war es auch, die geschehen ließ, was geschah. Die die Schuld für all das traf, was im Folgenden vor sich gehen sollte.
Die Männer begingen nämlich einen Fehler, und Frau Tritschler, die gerne zusah, wie sich etwas ereignete, sich aber ungern in Dinge einmischte, versäumte es, sie darauf hinzuweisen. Die Männer sammelten zwei der Holzgestelle ein und vergaßen das dritte.
Das dritte – jenes, auf das Tommi, der es inzwischen zugegeben hatte, Brille und Bartstoppeln gekritzelt hatte – stand so ungünstig zwischen einem alten Ölfass und einem Haufen leerer Obstkisten, dass die Leute mit dem Kleinlaster es einfach übersahen. Als Frau Kapf von ihrem Fenster aus das Unglück kommen sah, war es bereits zu spät. Bis sie ihre Schuhe gefunden und mit heruntergetretenen Absätzen die lange Treppe hinabgerannt war, war der Wagen längst über alle Berge.
„Die … die ham eins dagelassn!“, brüllte sie.
„Ich weiß schon“, entgegnete Frau Tritschler unbeteiligt.
„Ja, aber … warum ham Sie nix gesagt?“
„Geht mich denn denen ihre Arbeit was an?“
Frau Kapf sah aus, als wollte sie sich auf die Nachbarin stürzen. Die beiden vertrugen sich nicht besonders, aber welche Nachbarn taten das schon?
„Hätten Sie halt was gsagt!“
„Warum sollt ich? Is net mein Gschäft, was die tun.“
„Aber unsere Straß‘ isses, die wo die verschandeln!“
Frau Tritschler sah sich demonstrativ um und rümpfte die Nase. Was sie damit sagen wollte, war eindeutig. Bei dieser Straße von „verschandeln“ zu reden, war bestenfalls ein schlechter Witz. Überall häufte sich Müll und Schrott, und eine Ratte aus besserem Hause hätte sich vermutlich geweigert, in dieser Gegend irgendetwas anzurühren, auch wenn es nach Nahrung aussah.
„Auf den kommt’s net mehr an“, meinte sie. „Er is jetzt eh einer von uns. Als ob er hier wohnen tät.“ Sie spielte
Weitere Kostenlose Bücher