Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe
bereithielten, war dennoch ziemlich sonderbar, und jeder, den man dazu befragt hätte, hätte zugegeben, mit solch einer Entwicklung nie und nimmer gerechnet zu haben.
Rudi, Harri und Tommi nahmen sich des Plakates an.
Ihnen war widerfahren, was allen malfreudigen Kindern irgendwann einmal passiert: Das letzte Blatt des Zeichenblocks war verbraucht. Mit dem Unterschied, dass ihr Zeichenblock die Wohnung mit ihren Ecken, Nischen, mit ihren Tischdecken und Schubladeninhalten einschloss. Irgendwann war die letzte Tapete, das letzte Stück Teppich und Vorhang beschmiert und nicht mehr sauber zu kriegen. Die bunte Flut schob sich das Treppenhaus hinunter wie eine bizarre Krankheit, und schließlich spuckte das Haus die farbenfrohe Infektion auf die Straße.
Das Wahlplakat mit Walter Gerstschneiders stoppelbärtigem Gesicht war nur eine kleine Station in der epidemischen Kette. Rudi stellte sich auf die Zehenspitzen, streckte sich und malte dem Herrn rote Teufelshörner. Harri fügte schwarze Haare und Bart hinzu, und Tommi färbte die Lippen rot und brachte noch einige rote Schatten an, die dem Gesicht den Eindruck verleihen sollten, vom Feuerschein der Hölle beleuchtet zu sein. Die Brille blieb freilich bestehen, was insgesamt eine ausgesprochen eigenwillige Teufelsfratze abgab.
„Das warn Ihre Burschen“, meinte Frau Salensky gleichmütig, als Frau Kapf auf die Straße trat und sich die Bescherung betrachtete. Frau Kapf antwortete nichts. Der Schreck, Herrn Gerstschneider so verunstaltet zu sehen, war weniger groß als der Schock, einen Mann gewählt zu haben, der sich so mir nichts, dir nichts in einen Satan verwandeln ließ. Dass ihre erbärmliche kleine Wohnung unter der Malwut der drei Rangen verschwand, kam ihr wie selbstverständlich vor. Doch dass eine so anständige, hochgestellte Persönlichkeit drei kleinen Kindern nicht mehr entgegenzusetzen hatte, machte sie traurig.
Vor allem war eines klar: Dieses Plakat würde nie mehr abgeholt werden. Keine Partei dieser Welt würde sich jetzt noch dafür verantwortlich fühlen.
11
In den folgenden Wochen ereigneten sich absonderliche Dinge. Was genau den Anfang machte, lässt sich im Nachhinein schwer entscheiden.
Die Straße vor ihren Häusern wurde aufgerissen, um neue Abwasserrohre zu verlegen. Die Arbeiten begannen frühmorgens gegen fünf Uhr, und als sich der arbeitslose Herr Salensky wegen des Lärms beim Vorarbeiter beschwerte, ließ dieser sofort die Arbeit niederlegen und rief die Polizei. Zwei Beamte versicherten dem Anwohner, es sei sein gutes Bürgerrecht, gegen die Ruhestörung Klage zu erheben, rechneten ihm aber auch vor, was es ihn kosten würde, falls er den Prozess verlor und seinerseits wegen Behinderung der Arbeiten zu Schadensersatz verklagt wurde. Jede verlorene Arbeitsminute werde, so die Polizisten, in solchen Fällen gewöhnlich mit mehreren hundert Euro beziffert. Aufgrund eines speziellen Verzinsungssystems könne der Gesamtbetrag zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung leicht in den fünfstelligen Bereich rutschen. Dazu kämen die Prozesskosten, sowie diverse Verwaltungsgebühren. Außerdem könne man nicht garantieren, dass nicht auch andere Anwohner gegen ihn Klage erheben würden, denn Prozesse wegen unnötiger Ausdehnung der durch Bauarbeiten entstehenden Beeinträchtigungen der Lebensqualität seien keine Seltenheit und würden meist von den Klägern gewonnen. Sollte es einem der Kläger gar gelingen, durch diese Verzögerung entstandene gesundheitliche Schäden zu belegen, seien Schadensersatzforderungen von mehreren hunderttausend Euro an der Tagesordnung.
Herr Salensky bedankte sich für die Auskünfte und trank sich in der folgenden Nacht beinahe zu Tode. Seine Frau stoppte ihn, als er sämtliche Schnapsreserven vertilgt hatte und den Versuch unternahm, Brennspiritus mit Cola zu mischen. Eine Ambulanz stand zwei Stunden lang vor seinem Haus, und als Frau Salensky die Krankenversicherungskarte ihres Mannes schließlich fand, wurde dieser anstandslos mitgenommen. Was böse klingt, hatte ein glückliches Ende. Herr Salensky überlebte mit einem leichten Hirnschaden, der sich etwas auf seinen Gleichgewichtssinn auswirkte. Seine Sprachfähigkeit und andere wichtige Hirnfunktionen wurden jedoch nicht beeinträchtigt.
Kaum war er wieder zu Hause, erhielt er einen eingeschriebenen Brief. Darin stand, dass die Stadt großzügig auf eine Gerichtsverhandlung verzichten würde, falls er sich zu fünfzig Stunden freiwilliger
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