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Sirenenfluch

Sirenenfluch

Titel: Sirenenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
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konnten sie das Beweisstück freigeben. »Ich weiß doch, dass Tim total auf Musik stand. Sie muss ihm gehört haben«, sagte Barry und fragte Will, ob er die Flöte haben wolle, »zum Andenken«.
    Zum Andenken, hatte Will gedacht. Ein Andenken an den Tod seines Bruders. Als ob es davon nicht schon genügend gab. Die Flöte hatte er trotzdem mitgenommen. Dann hatte er sie in der untersten Schublade verstaut und sie dort bis vor ein paar Tagen vergessen. Er wusste selbst, wie albern es war, zu denken, die Flöte könnte irgendetwas mit Tim zu tun haben. Und doch hatte er das Gefühl, ihm durch sie näher zu sein. Als er dann die gleiche Flöte im Schaufenster gesehen hatte, hatte er sofort beschlossen, mehr über sie in Erfahrung zu bringen.
    Will ließ den Blick durch das Restaurant schweifen. Er konnte Zoe nirgends entdecken. Eine punkig gestylte Bedienung mit Dreadlocks und einer grauen Kellnerinnen-Uniform stand bei einigen älteren Damen am Tisch und scherzte mit ihnen herum. Der Küchenchef – Angel, der schon zum Inventar des Bella ’s gehörte – war auf seinem angestammten Platz am Herd. Will konnte ihn durch die Essensdurchreiche erspähen. Er fragte sich, ob das Punk-Mädel wohl Asia war und schnappte sich eine Tageszeitung, die jemand auf seinem Platz liegen gelassen hatte. Will überflog die Vorder-, dann die Rückseite. Auf der ersten Seite des Lokalteils standen die Todesanzeigen und das Polizeiprotokoll. Dort fand er einige knapp gehaltene Zeilen über die Leiche, von der Angus ihm zu Beginn der Woche erzählt hatte, jedoch kein einziges Wort über ein dunkelhaariges Mädchen. Will versuchte, sich das Bild der fremden Schönen zurück ins Gedächtnis zu rufen und war überrascht, wie deutlich sich ihm ihre strahlenden meergrünen Augen, ihre blasse Haut und ihre hohen Wangenknochen eingeprägt hatten. Ihr langes Haar, das wie ein Schleier hinter ihr auf dem Wasser schwamm, als sie ins Meer watete.
    Die ganze Szene erschien ihm irgendwie unwirklich. Kein Mädchen konnte so wunderschön sein. Und kein Mensch würde während eines solchen Sturms in den tobenden Ozean hineinmarschieren. Das Ganze kam ihm vor wie einer jener Albträume, die sich derart real anfühlen, dass man beim Erwachen völlig außer Atem ist und endlos erleichtert darüber, sich in seinem eigenen Bett in den eigenen vier Wänden wiederzufinden.
    »Was darf es für dich sein?«
    Will hob den Kopf und das Herz gefror ihm zu Eis. Es blieb nicht einfach stehen, sondern fühlte sich plötzlich kalt und zerbrechlich an, so als würde die geringste Berührung es zum Bersten bringen.
    Das ist sie!, durchfuhr es ihn.
    Leuchtend grüne Augen waren aufmerksam auf ihn gerichtet. Das schwarze Haar hatte sie im Nacken zu einem Knoten zusammengesteckt. Sie trug eine von diesen üblichen langweiligen Kellnerinnen-Uniformen und hatte sich einen Stift hinters Ohr geklemmt. Und trotzdem war sie einfach unbeschreiblich schön.
    »Alles in Ordnung?«, fragte sie und der Klang ihrer Stimme umnebelte seine Sinne. Will wusste, dass er irgendetwas hätte sagen sollen, doch er brachte kein Wort heraus. »Eine Cola«, presste er schließlich mit erstickter Stimme hervor.
    Sie notierte sich seine Bestellung und sah dann mit leicht schief gelegtem Kopf wieder von ihrem Block auf. Ob sie mich auch erkannt hat?, überlegte er.
    Die Kellnerin blickte auf die Tischplatte, wobei sich ihr Gesichtsausdruck veränderte. »Woher hast du die?«, fragte sie leicht argwöhnisch und blickte ihn forschend an.
    Will sah auf seine Hände hinab, in denen er immer noch die Holzflöte hielt. In seinem Kopf rauschte es wie bei einem gestörten Funksignal – irgendwie machten Worte für ihn gerade keinen Sinn. Was sollte er ihr denn antworten? »Sie hat vermutlich meinem toten Bruder gehört«? »Die hat mir ein Polizist als Andenken gegeben«? Sein Blick blieb an ihrem Namensschild hängen.
    »Asia Marin«, sagte er laut.
    Asia sah ihn misstrauisch an, so als erwarte sie, dass Will ihr gleich mit einem abgedroschenen Spruch kommen würde – was ihr offenbar nicht sonderlich gefiel. »Müsste ich dich kennen?«
    Will wusste nicht so recht, was er darauf antworten sollte. Etwa nicht?, wollte er am liebsten fragen. Erst habe ich dich um ein Haar überfahren und dann habe ich versucht, deinen Selbstmordversuch im Meer zu verhindern. Schon vergessen?
    »Nein«, brachte er endlich heraus. »Ich, äh – der Besitzer von dem Antiquitätengeschäft nebenan schickt mich. Er sagte, dass

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