SISSI - Die Vampirjägerin
ich gerade.
Sie gab sich einen Ruck und ging zurück zum Eingang. Das Katana in ihren Händen gab ihr Sicherheit.
»Hallo?«, rief sie in den dunklen Flur hinein. »Ist jemand hier? Ich bin wach.«
Niemand antwortete. Sie hörte kein Geräusch außer einem entfernten Kratzen und Scharren in den Wänden. Sissi öffnete die Tür zu dem Zimmer, in dem sie gelegen hatte. Das Licht reichte nicht bis zu ihrem Bett, erhellte den Raum aber ausreichend, um die Gestalt darunter zu erkennen.
Oh Götter, dachte sie entsetzt. Er war die ganze Zeit unter meinem Bett. Es war die unheimlichste Vorstellung, die sie je gehabt hatte.
Die Gestalt bewegte sich nicht. Sissi sah Stiefel, eine dunkle Hose und Hände, die wie bei einem Toten über der Brust gefaltet waren. Die Vorstellung, das Zimmer mit einer Leiche geteilt zu haben, ließ ihr fast das Brot wieder hochkommen. Mühsam schluckte sie ihren Ekel herunter.
Das Gesicht des Mannes – sie nahm zumindest an, dass es ein Mann war – konnte sie nicht erkennen. Es wurde vom Bettpfosten verdeckt.
Vorsichtig trat Sissi näher, das Katana hoch erhoben, bereit, bei der geringsten Bewegung zuzuschlagen. Dann ging sie in die Knie und warf einen Blick unter das Bett.
Der Mann, der dort mit geschlossenen Augen lag, war groß, kräftig und hatte kurzes blondes Haar. Sie hatte ihn noch nie gesehen.
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
Vampire lieben Geschichten. Natürlich ist das eine Verallgemeinerung, doch man findet Vampire deutlich häufiger in Theatern und Bibliotheken als Menschen. Nur selten trifft man einen Vampir, dem die gro ßen Dichter Europas nicht vertraut sind, und gelegentlich überraschen sie den menschlichen Zuhörer sogar mit intelligenten und klugen Interpretationen ihrer Werke. Auf der anderen Seite sei jedoch zu bemerken, dass ich in all meinen Jahren noch nie einem Vampir begegnet bin, der ein Buch geschrieben hat.
– Die geheime Geschichte der Welt von MJB
Zwölf Stunden zuvor
Mit einem Knall flog die Tür gegen die Wand. Franz-Josef fuhr hoch und schlug mit der Stirn gegen den Querbalken des Bettes.
Nicht schon wieder …
»Du gottverdammter Idiot!«
Franz-Josef schob sich unter dem Bett hervor und runzelte die Stirn. »Edgar?«
Der Vampir stand im Türrahmen. Dampf stieg von seiner Kleidung auf. Putz rieselte wie Schnee von der Decke und sammelte sich auf seinen Schultern.
»Was machst du denn hier?«, fragte Franz-Josef, während er aufstand und einen Blick auf Sissi warf. Sie lag ruhig unter ihrem Umhang und hatte die Augen fest geschlossen.
»Was machst du denn hier?«, äffte Edgar ihn mit viel zu hoher Stimme nach. Dann fuhr er in seinem normalen rauen Tonfall fort: »Was wohl? Nach dir suchen, du Depp! Und wenn man den Verwesungsgestank deiner Rattenmahlzeiten nicht schon meilenweit riechen könnte, wäre ich wahrscheinlich immer noch dabei.« Er klopfte sich den Putz von den Schultern und trat ein.
Franz-Josef sah, dass seine Augen tief in den Höhlen lagen und sich die Haut dünn über seine Knochen spannte. Er musste seit Tagen weder richtig geschlafen noch gegessen haben. Beinah tat er Franz-Josef leid.
»Ich habe dich nicht gebeten, das zu tun.«
»Das weiß ich.« Edgar kam näher. »Und es wäre mir persönlich auch scheißegal, wenn man mit deiner Asche die Felder düngen würde, aber da der ganze Palast in Aufruhr ist, musste ich leider so tun, als wäre ich um dein Wohlergehen besorgt. Dabei ist es mir, um das noch mal ganz klar zu sagen …«, er streckte das Kinn vor, die Sehnen in seinem Hals spannten sich, »… scheißegal.«
»Das sagtest du schon.« Franz-Josef achtete darauf, zwischen ihm und Sissi zu bleiben. Er merkte, dass Edgar Sissi immer wieder musterte, und versuchte ihn abzulenken. »Wieso macht man sich denn im Palast Sorgen? Ich hatte Ludwig doch eine Notiz hinterlassen.«
»Die aussah, als habe ein Dreijähriger sie mit den Fingern gemalt. Jeder hätte sie schreiben können: Anarchisten, Ungarn, Kinder Echnatons …«
Fiel sein Blick nur zufällig auf Sissi? Franz-Josef war verunsichert. Er kann es nicht wissen, dachte er dann. Selbst Sophie weiß es nicht.
»Was ist mit den Kutschern? Ich hatte sie doch zum Palast geschickt?«
»Du hast sie in das Kaff, aus dem sie kamen, zurückgeschickt, und als sie dort eintrafen, wussten sie nicht mehr, wo und warum sie Sissi abgesetzt haben.« Edgar genoss jedes Wort, das war ihm anzusehen. »Die Panik kannst du dir ja vorstellen.« Er deutete mit dem Kinn auf Sissi. »Und
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