Sisters of Misery
»Kate bringt mich um, wenn ich nicht mitkomme.«
»Das darf doch alles nicht wahr sein«, seufzte Cordelia. »Die Leute behandeln mich und meine Mutter, als wären wir Hexen, dabei kommt es mir vor, als wärst du diejenige, die einem Hexenzirkel angehört.« Sie lachte nervös. »Hat Kate denn schon mal eine Nacht auf der Insel verbracht?«
Maddie erzählte ihr, dass Kate von ihrer älteren Schwester Carly dazu gezwungen worden war, als sie gerade mal neun Jahre alt war. Kate war schon damals hart im Nehmen gewesen
und hatte tatsächlich die komplette Nacht allein dort verbracht. Als Maddie und die anderen Freundinnen sie am nächsten Morgen abholten, hatte sie völlig gefasst und unbeeindruckt gewirkt, und erst als die Mädchen ihr zur bestandenen Mutprobe gratulierten, war ihr Blick glasig geworden, als würde sie mit den Tränen kämpfen. Es war das erste und einzige Mal gewesen, dass Maddie Kates verletzliche Seite gesehen hatte. Auf dem Weg zur Anlegestelle hatte Maddie sie in einer unbeholfenen tröstenden Geste an sich gedrückt, aber Kate weigerte sich, auch nur das kleinste Anzeichen von Schwäche zu zeigen, und hatte sie gereizt weggeschubst. Von all den Mädchen, die jemals eine ganze Nacht allein auf der Insel verbracht hatten, war Kate Endicott in der Geschichte der Sisters of Misery das jüngste gewesen. Es machte sie fast zu so etwas wie einer lebenden Legende.
Cordelia lieà sich fassungslos auf Maddies Bett fallen. Nachdem sie ein paar Minuten nachdenklich an die Zimmerdecke gestarrt hatte, setzte sie sich entschlossen auf. »Dann komm ich mit«, verkündete sie mit fester Stimme. »Das ist glatter Selbstmord, wenn du mit diesen Mädchen allein nach Misery Island fährst, und das ausgerechnet auch noch an Halloween.«
Sosehr sich Maddie auch vor dieser Nacht auf der Insel fürchtete - sie wusste, dass es für Cordelia noch viel gefährlicher werden würde. Die Sisters of Misery hassten sie nicht nur - sie waren neidisch auf sie. Und wenn Maddie ehrlich war, konnte sie dieses Gefühl sogar nachvollziehen, denn es gab Momente, in denen selbst sie Cordelias Selbstvertrauen und ihre natürliche Schönheit nur schwer aushielt. Neid konnte Mädchen dazu bringen, die verrücktesten Dinge zu tun. Heimtückische, böse Dinge.
Als Maddie beim Mittagessen in der Cafeteria erwähnte, dass Cordelia sie auf ihrem nächtlichen Ausflug nach Misery Island begleiten wolle, war Kate überraschend schnell einverstanden - fast schon zu schnell. Maddie hatte das ungute Gefühl, dass Kate heimlich schon die ganze Zeit damit gerechnet hatte.
In der Halloween-Nacht führte Kate die Sisters of Misery und Cordelia den verschlungenen lehmigen Pfad entlang, der ins Innere der Insel führte. Mit verbundenen Augen setzten die Mädchen, die sich an den Händen hielten und im Gänsemarsch gingen, vorsichtig einen Fuà vor den anderen. Keine wusste, welche von ihnen es heute Nacht treffen würde, und jede hatte Angst, die Auserwählte zu sein.
Zweige zerkratzten ihnen die Beine, als sie durch das Unterholz auf eine kleine Baumgruppe zumarschierten, und Horden von Stechmücken fielen - von dem Duftgemisch aus Kaugummi, Seife und Parfum angezogen - im Sturzflug über ihre Gesichter und die unbedeckten Stellen ihrer Körper her. Um sich gegen die blutrünstigen Insekten zu wehren, lieà Maddie immer wieder ihren langen kastanienbraunen Pferdeschwanz hin- und herpeitschen, achtete jedoch darauf, auf keinen Fall die Hand des Mädchens hinter oder vor ihr loszulassen.
»Halt!«, befahl Kate schlieÃlich. »Wir haben die ehrwürdigen Ruinen von Misery Island erreicht. Jetzt gilt es, unsere Stärke unter Beweis zu stellen und ein Mitglied der Sisters of Misery auszuwählen, das als Opfergabe die Nacht hier verbringen wird.«
Ãngstlich drückten die Mädchen einander die vor Nervosität feuchten Hände. Nur Cordelias Hand fühlte sich immer noch trocken und entspannt an. Sie war zum ersten Mal auf der Insel und wusste nicht genug über ihre unheimliche Geschichte, um Angst zu haben.
»Diejenigen unter euch, die das hier schon miterlebt haben,
kennen die Regeln. Die anderen ⦠«, Kate hielt inne, und Maddie wusste selbst mit verbundenen Augen, dass sie spöttisch grinste, »haben jetzt zum ersten Mal die Gelegenheit, ihre Verbundenheit mit ihren Schwestern zu
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