Sittenlehre
Aus beiden Augenbrauen stehen lange Haare heraus, seine Augenbrauen stehen überhaupt recht nah beieinander. María Teresa dagegen nutzt die Gelegenheit und entzieht ihre Augen seinem Blick, während sie von ihrem Milchkaffee trinkt; sie versucht nicht so nervös zu sein.
»Und was haben Sie sonst noch so vor im Leben?«
María Teresa war mit den Gedanken abgeschweift; Herrn Biasuttos Frage überrascht sie.
»Wie bitte?«
»Ich habe bloß gefragt, einfach so aus Neugier, was Sie sonst noch so im Leben vorhaben.«
María Teresa blinzelt und sagt nichts. Herr Biasutto nutzt ihre Verwirrung und schiebt eine Hand vor – die mit dem großen Ring mit den Initialen CB; er läßt sie schließlich auf dem Serviettenstapel liegen.
»Also ich meine: So ein hübsches Mädchen wie Sie.«
María Teresas Gesicht wechselt schlagartig die Farbe, übergangslos, so wie wenn man ein elektrisches Gerät einschaltet. Es ist sehr warm, und es muß auch sehr rot sein.
»Sagen Sie nicht so was, Herr Biasutto.«
»Aber natürlich sage ich das, María Teresa, ist doch so. So ein hübsches und gut erzogenes und feinfühliges Mädchen wie Sie. Haben Sie etwa nicht vor, zu heiraten?«
Könnte sie jetzt die Hände vors Gesicht legen und antworten, ohne gesehen zu werden – wie beim Beichten –, würde María Teresa das machen.
»Jetzt noch nicht. Das kommt schon.«
Herr Biasutto trommelt mit den kurzen dicken Fingern auf dem Serviettenstapel.
»Na klar. Sie sind ja noch sehr jung. Aber vielleicht gibt es schon einen Kandidaten?«
María Teresa schüttelt den Kopf, sagt aber nichts, sie muß schlucken – wie soll sie da sprechen? Sie schüttelt den Kopf und gleichzeitig senkt sie ihn, und obwohl sie Herrn Biasuttos Gesicht jetzt nicht sehen kann, weiß sie, daß er wieder lächelt. Sie sieht, daß seine Hand sich zurückzieht und auf die Zigarette zubewegt, die immer noch vor sich hin qualmt. Er nimmt sie auf, um sie an den säuerlichen Mund zu führen. Etwas von der Asche löst sich von der Zigarette – eine welke, luftige Asche. Ein Teil fällt auf den Tisch, ein Teil auf Herrn Biasuttos Kleidung.
María Teresa trinkt aus und betrachtet den Kaffeesatz auf dem Tassenboden.
Draußen auf der Straße wird es still.
Siebte Stunde
Nein, lieber nicht noch einen Milchkaffee. Nicht, weil sie Angst hat, sie könne später nicht schlafen, das Problem hat sie sowieso, aber von zuviel Kaffee bekommt sie leicht Sodbrennen. Herr Biasutto bestellt allerdings noch einen Whisky, wiederum ohne Eis. Und María Teresa soll auch noch etwas bestellen, drängt er, er möchte nicht allein mit seinem Glas dasitzen. Da merkt sie, wie trocken ihr Mund ist, alles klebt, sie hat richtig Durst. Vielleicht eine Limonade? Sie bestellt eine Tab.
Solange der Kellner damit beschäftigt ist, abzuräumen und die nächsten Getränke zu bringen, reden sie kaum ein Wort. So zurückhaltend und rücksichtsvoll er sein mag, ist der Kellner trotzdem eine Art Eindringling, dessen Verschwinden es abzuwarten gilt. Als er fort ist – auf dem Tisch stehen jetzt eine Flasche Limonade und ein weiteres Glas Whisky –, ist es María Teresa, nicht Herr Biasutto, die das Wort ergreift.
»Ihre Arbeit im Colegio muß ganz schön schwierig sein, oder?«
Herr Biasutto schweigt überrascht.
»Oberaufseher sein, meine ich. Soviel Verantwortung! Das muß wirklich schwierig sein, oder?«
Herr Biasutto drückt den Rücken an die Lehne, als wollte er jemanden daran hindern, sich hinter ihm vorbeizuzwängen.
»Das ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe.«
»Ich bin ja noch neu am Colegio, aber das habe ich auch schon gemerkt.«
»Sie sind sehr tüchtig und geben sich große Mühe.«
»Seit wann arbeiten Sie im Colegio?«
»Ich habe 1975 angefangen.«
»75? Das sind ja sieben Jahre!«
»Ja.«
»Und wann sind Sie Oberaufseher geworden?«
»Das sind aber viele Fragen, María Teresa, man könnte meinen, Sie sind Journalistin. Oder Detektiv!«
»Ich finde das eben interessant.«
»Ich habe gleich als Oberaufseher angefangen.«
Erst jetzt begreift María Teresa, daß Herrn Biasutto das Thema ein wenig unangenehm ist. Sie macht sich Vorwürfe deswegen, wieso hat sie das nicht früher gemerkt! Sie hat ein schlechtes Gewissen und sagt nichts mehr. Auch Herr Biasutto schweigt. Draußen fährt ein Bus vorbei. Sie sehen sich das an wie einen Film im Kino, bestrebt, sich nicht die kleinste Kleinigkeit entgehen zu lassen. Es ist ein Bus der Linie neunundzwanzig, ein Hinweisschild
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