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Skagboys 01

Skagboys 01

Titel: Skagboys 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvine Welsh
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nein, little Susie … nicht meine kleine Susie … so sollte es doch nicht sein …
    Wake Up Little Susie … ich erinnere mich wieder, dass er manchmal dieses Lied gesungen hat. Meistens sonntags, wenn er meiner Ma das Frühstück ans Bett brachte. Ich hab mich jetzt ganz tief zu ihr runtergebeugt. — Ich liebe dich, Mum, sage ich wieder und wieder zu ihr, zu diesem reglosen Haufen aus Knochen, Tumorzellen und Haut. Ihre chirurgisch entfernten Brüste sind mit Bandagen bedeckt. Ich hoffe auf ein friedvolles Ende und bete zu einem Gott, an den ich noch nie viele Gedanken verschwendet habe, dass er über diese Wunden in ihren Körper fahren möge.
    Mein Dad legt seinen Kopf auf ihren Bauch. Ich fahre mit meinen Fingern durch sein immer noch dichtes, schwarzes Haar, in dem ein paar silberne Strähnen zu sehen sind und wie Untote in einem Strom von Lebenden umherirren. — Es ist okay, Daddy. Es ist okay …, sage ich etwas trottelig und merke, dass ich ihn das letzte Mal so genannt habe, als ich zehn war.
    Dann krampft Mum leicht zusammen und hört auf zu atmen. Ihren letzten Atemzug sehe ich nicht mehr, und ich bin froh darüber. Ich schweige. Mein Vater hingegen stöhnt und schluchzt wie ein verwundetes Tier. Und so fühle ich mich noch schuldiger wegen dieser schrecklichen Welle der Erleichterung, die mit einem Mal über mich hereinbricht. Am Ende war das nicht mehr meine Mum. Mit all den Drogen, die man ihr gab, konnte sie uns kaum noch erkennen. Jetzt ist sie gegangen. Nichts kann ihr mehr etwas anhaben. Der Gedanke daran, dass ich sie nicht wiedersehen werde, sie niemals wiedersehen werde, ist im Moment allerdings viel zu viel für mich.
    Verdammt, ich bin einundzwanzig Jahre alt und habe gerade mit ansehen müssen, wie meine Mutter gestorben ist.
    Meine beiden Geschwister kommen rein, Mhairi und Calum. Beide sind am Boden zerstört. In ihren Augen funkelt ein verurteilender Blick. Es ist, als würden sie denken, dass ich ihnen etwas gestohlen habe. Mein Dad erhebt sich, um mich und Mhairi zu umarmen, und wirkt dabei wie ein Mann, der seinen Körper mühsam aus einem Grab hievt. Danach geht er zu Calum rüber und will auch ihn in die Arme schließen, aber mein Bruder drückt ihn von sich und starrt auf das Bett. — Das soll’s gewesen sein?!, fragt er. — Ma is gestorben?
    — Sie hat jetzt ihren Frieden gefunden, und sie hat nicht gelitten … sie hat nicht gelitten …, wiederholt mein Dad ein paarmal. Mein Bruder schüttelt daraufhin den Kopf, als wollte er sagen: »Sie hatte vier Jahre lang Krebs, eine beidseitige Mastektomie und ohne Ende Chemos – natürlich hat sie gelitten, verdammte Scheiße!«
    Ich greife die kalten Metallstangen am Fußende des Betts und schaue im Zimmer umher – auf den Sauerstoffanschluss in der Wand, die Plastikkanne auf dem Nachtschrank, die beiden dämlichen Weihnachtskarten auf dem Regal am Fenster. Überallhin, bloß nicht auf den Leichnam. Ich denke an den Morphinvorrat meiner Ma, den ich aus dem Haus meiner Eltern stibitzt und in meinem Nachtschrank deponiert habe. Für einen Regentag. Auf keinen Fall geb ich das Zeug zurück ans Krankenhaus. Das schulden sie uns. Mindestens das.
    Ich geh mit Mhairi raus, um eine zu rauchen. — Eigentlich sollten wir das nicht tun, sag ich zu ihr. — Nach der Sache mit Ma …
    — Das wird uns doch so oder so widerfahren, antwortet Mhairi. Dicke Tränen ruinieren ihr Make-up. Ihr Gesicht sieht elend aus, zerknirscht. — Erst schneiden sie uns die Titten ab, und dann siechen wir langsam dahin wie Mum … wie Freaks! Was soll das Ganze also?
    — Das ist doch gar nicht sicher, dass uns auch so etwas passiert!
    — Vererbung!
    — Das kann man nicht wissen! Ich nehme sie in die Arme. — Komm her, du Dummerchen … wir müssen uns jetzt um die beiden Kerle kümmern, verstehst du? Du und ich. Das hätte Mum so gewollt. Du weißt doch selbst, wie trottelig die sind. Hast du Dads Schnurrbart gesehen? Was ist denn bitte schön mit dem passiert?! Ein kurzes, schmerzhaftes Lachen platzt aus ihr heraus. Dann verzerren sich ihre Züge erneut, und sie fängt wieder an zu weinen. Ich kann den Duft des Coco Chanel an ihr riechen, das kurz vor meinem Auszug verschwunden ist. Diebische Elster! Ist aber definitiv nicht der Zeitpunkt, um deswegen ein Fass aufzumachen.
    Cal und Dad kommen raus. Ich will weg von ihnen, will Alexander treffen oder vielleicht zu Johnny und mir etwas Stoff besorgen. Hasch oder ein bisschen Skag – irgendwas, um diesen

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