Skagboys 01

Schwester Vierauge faselt. Als meine Eltern das Gebäude verlassen, fantasiere ich bereits darüber, mich in sie zu verlieben: ich und die bebrillte Bohnenstange auf einer karibischen Insel mit einem unerschöpflichen Skagvorrat, der uns von ihren Arbeitgebern beim NHS zur Verfügung gestellt wird. Im Grunde ist sie wie eine dieser rattenscharfen Bibliothekarinnen, die absolut knallbar wären, wenn sie nur mal ihre Haare aufmachen und die Brillen absetzen würden.
    Len bringt mich in mein Zimmer. Er hat ein gepflegtes Äußeres und wirkt sehr umgänglich, ist allerdings auch ein Hüne von einem Kerl, mit dem ich mich nur sehr ungern anlegen würde. Im Zimmer schaltet er als Erstes die Leuchtstoffröhren an. Wie Disco-Strobolichter beginnen sie zu flackern, stabilisieren sich dann aber, um den Raum in ein grelles Licht zu tauchen und eintönig vor sich hin zu brummen. Ich lege mich aufs Bett und schaue mir die Einrichtung an. Es ist eine bescheidene Mischung aus dem Wohnheimzimmer in Aberdeen und der Kajüte auf der Freedom Of Choice . Es gibt hier sogar die gleiche Einbaukombi aus Schreibtisch und Regal wie an der Uni. Auch der Kleiderschrank, der Stuhl und die Kommode sind ähnlich. Len, der Hüne mit dem Pony, meint allerdings, dass ich es mir gar nicht erst bequem machen soll. Es steht nämlich eine Vorstellungsrunde im Gruppentherapieraum auf dem Plan, wo ich meine Leidensgenossen kennenlernen soll. Ich frage mich, ob Keezbo und Spud wohl auch hier sind oder ob man sie in ein anderes Reha-Zentrum gesteckt hat. — Wie viele sind wir hier?
    — Momentan gibt es neun Teilnehmer.
    Bevor wir zur Vorstellungsrunde gehen, drückt er mir noch einen Zeitplan für den Tagesablauf in die Hand. Es ist der gleiche, den ich schon mit Schrecken am Empfang beäugt habe. — Ich wollte dir bloß kurz diesen Plan hier erklären …
    Gesundheitsamt Lothian/Abteilung für Soziale Arbeit Lothian
    Gruppe für Substanzabhängigkeit, St. Monans
    Zeitplan, Tagesablauf
    07.00 A.M. WECKEN
    08.30 A.M. FRÜHSTÜCK
    09.30 A.M. MEDIKAMENTENAUSGABE
    10.00 A.M. MEDITATION
    11.30 A.M. GRUPPE, PROZESSBEGLEITUNG
    01.00 P.M. MITTAGESSEN
    02.30 P.M. EINZELTHERAPIE
    04.00 P.M. GRUPPENARBEIT – THEMEN DER SUBSTANZABHÄNGIGKEIT
    06.00 P.M. ABENDESSEN
    07.30 P.M. FREIZEIT/FITNESS
    08.30 P.M. NACHTMAHL
    11.00 P.M. LICHT AUS
    — Wecken um sieben Uhr früh? Das muss ein Witz sein, oder?
    — Aye, am Anfang ist es hart, gibt Len zu. — Aber die meisten gewöhnen sich recht schnell daran. Es geht darum, wieder Ordnung und Struktur in das chaotische Leben der Teilnehmer zu bringen. Dann versammeln wir uns zum Frühstück. Daran muss jeder teilnehmen, auch während des Entzugs. Anschließend bekommt ihr eure Medikamente.
    — Sieben Uhr früh is trotzdem Wahnsinn, stöhne ich. Das letzte Mal bin ich so früh aufgestanden, als ich bei Gillsland gearbeitet hab. — Und Meditation? Was ist das, Mann? Ich hoffe mal nix von wegen Beten und Kirchenlieder singen oder so!
    Len lacht und schüttelt den Kopf. — Nein, dabei geht es nicht um Religion. Im Gegensatz zum Ansatz der Anonymen Alkoholiker verlangen wir nicht, dass sich die Teilnehmer dem Herrgott oder einer höheren Macht unterwerfen. Wenn sich allerdings jemand religiös betätigen möchte und es ihm oder ihr bei der Therapie hilft, raten wir davon auch nicht ab. Besonders bei Patienten, die gegen eine Substanzabhängigkeit kämpfen, hat sich die Hinwendung zur Religion als sehr populär und effektiv erwiesen.
    Die einzige höhere Macht, der ich mich jemals unterwerfen würde, wäre Paddy Stanton. Oder Iggy Pop.
    — Was soll eigentlich dieses Gerede von Substanzabhängigkeit?
    — Wir bevorzugen diesen Ausdruck anstelle von Drogensucht oder Drogensüchtiger .
    — Wie auch immer …, sage ich schulterzuckend.
    Lens dicker Zeigefinger tippt auf den Zettel, um meine Aufmerksamkeit auf die restlichen Tagesordnungspunkte zu lenken. — In der Gruppe »Prozessbegleitung« diskutieren wir, wie wir als Teile dieser Gemeinschaft funktionieren, und thematisieren eventuelle Probleme in diesem Bereich. Wie du dir vorstellen kannst, sind diese Sitzungen teilweise sehr lebhaft. Nach dem Mittag geht es weiter mit den Einzelsitzungen, in denen du mit Tom oder Amelia arbeitest. Anschließend gibt es eine Gruppensitzung, bei der Themen der Substanzabhängigkeit besprochen werden. Nach dem Abendessen haben die Teilnehmer Freizeit. Wir haben einen Fernseher, einen Billardtisch, einige Fitnessgeräte und Musikinstrumente.