Skagboys 01
klinische Psychologin, die öfter in St. Monans vorbeischaut. Die Unterschiede zu unserem Gruppenliebling könnten größer kaum sein. Das erste Mal bin ich in der Klinik auf die englische Molly gestoßen, wo ich ihre bohrenden und beharrlichen Fragen in einem Zustand benebelter Folgsamkeit beantwortet habe. Jetzt allerdings bin ich clean, leicht reizbar und reagiere wenig kooperativ auf ihre grobe Art. Das Gespräch läuft entsprechend schlecht.
Nachts sitze ich auf der Gartenterrasse und spiele unter pech schwarzem Himmel ein wenig auf der Gitarre herum. Leider reißt dabei eine Saite. Da es keinen Ersatz gibt, ist die Party vorbei.
Tag 38
Tom geht mir langsam auf den Zeiger. Ich werde zwar nächste Woche entlassen, aber der Typ lässt nicht locker. Nicht nur, dass er mir eine unproduktive Sitzung mit dieser klinischen Psychologin Molly aufbrummt, jetzt dreht er auch noch in unseren Einzelgesprächen auf und meint, auf den letzten Metern die Samthandschuhe ausziehen zu müssen. Heute zum Beispiel sah er mir in die Augen und meinte mit unterkühlter Distanziertheit: »Lüg dir doch nicht in die eigene Tasche, Mark.«
»Was?!« Ich war perplex. Mit nur einem Kommentar hatte er mich aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich musste sofort an Die Große Lüge denken. War er mir etwa auf die Schliche gekommen?
»Arbeite mit mir.«
»Was meinst du damit?«
»Du bist ein intelligenter Kerl, Mark, aber so intelligent bist du nun auch wieder nicht. So belesen und gebildet du auch sein magst – eine Antwort auf die Frage, warum du dir das alles antust, hast du immer noch nicht gefunden.«
»Glaubst du?«, forderte ich ihn heraus, wusste aber, dass der Wichser absolut recht hatte.
»Du weißt nicht, warum du ein Junkie bist, und das nervt dich unheimlich. Es beleidigt deine Intelligenz und beschädigt dein Selbstbildnis.«
Seine Worte fühlten sich an wie ein Schlag in die Magengegend. In erster Linie, weil er richtig lag. Ich war verdutzt und ehrlich gesagt auch ein bisschen erschüttert – sowohl von seiner 180-Grad-Wendung hin zu diesem konfrontativen Gesprächsstil als auch von dem, was er sagte.
VERDAMMTER WICHSER.
Das Blut pulsierte mit solcher Heftigkeit in meinem Hirn, dass ich kaum meine eigenen Worte verstehen konnte. Mir platzte der Kragen, und ich verfiel in einen Redeschwall. »Ich kann diese Welt, ich meine, diese Art der Welt, nicht wertschätzen. Wir haben unseren Planeten in einen gigantischen Haufen Scheiße verwandelt, und ich habe keinerlei Möglichkeit, die Situation zu verbessern. Das ist es, was mich ankotzt und frustriert. Also hab ich mich bewusst dafür entschieden, nicht einzugreifen, sondern ›auszusteigen‹ … wenn man diese beschissene Hippiefloskel überhaupt benutzen will!«
Tatsächlich war meine Äußerung weitaus weniger eloquent.
»Es ist nicht normal für einen jungen Kerl wie dich, so zu reden«, meinte Tom. »Du bist einfach nur deprimiert. Was sind die Gründe für deine Depressionen, Mark?«
Ich hatte keine gute Antwort parat, also sagte ich: »Die Welt.«
»Nein. Es ist nicht die Welt «, meinte Tom mit energischem Kopfschütteln. »Sicherlich ist diese Welt schlecht, aber Leute wie du sollten versuchen, sie zu verbessern. Außerdem bist du intelligent genug, um dich durchzuschlagen und in jeder Gesellschaftsform klarzukommen. Was ist es also?«
»Skag gibt halt einen spitzenmäßigen Rausch«, meinte ich, um irgendetwas zu sagen und aus der Defensive zu kommen. Ein weiteres Manöver, um sich nicht mit Der Großen Lüge auseinandersetzen zu müssen. »Für einen guten Rausch war ich schon immer zu haben.«
»Gut, du hast ein Alter erreicht, in dem man merkt, dass die Welt ein beschissener Ort ist und nicht so einfach repariert werden kann. Dann lern gefälligst langsam, damit umzugehen! Werd erwachsen, verdammt!« Seine Augen waren mit einem Mal von einer neuen Härte erfüllt. »Krieg dein Leben auf die Reihe! Es gibt keinen anderen Weg. Was willst du denn dagegen tun?!«
»Das hier!« Ich krempelte meine Ärmel hoch und zeigte ihm die vernarbten Einstichstellen auf meinen Armen.
Die Große Lüge.
Wir alle spielten dieses beschissene Spiel: das Reha-Spielchen. Als Teilnehmer musste man mit dem Therapeutenteam paktieren und den Mythos aufrechterhalten, dass man tatsächlich mit dem Heroin aufhören wollte. Nur wenige von uns – falls überhaupt jemand aus der Gruppe – interessierten sich allerdings einen Scheißdreck dafür. Was wir wollten, war einfach: clean
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