Skagboys 01
Kumpel?« Nervös schaute er sich um, der Blick unsicher und besorgt. »Was is der Deal in diesem Laden?«
Mir wurde klar, dass ich vor noch nicht allzu langer Zeit genauso ausgesehen und ebenso viel Angst gehabt hatte wie er. Also nahm ich ihn mit in mein Zimmer. Er zitterte wie Espenlaub, als er sich hinsetzte. Ich erklärte dem Wichser offen und ehrlich, wie ich die Situation einschätzte. Offenbar hatte der Volltrottel versucht, in eine Apotheke in Liberton einzubrechen. »Hab doch diesen Film gesehen. Christiane F. Auf Video, verstehste?«
Der verdammte Penner fing an zu quasseln, laberte ohne Punkt und Komma. Anfänglich versuchte ich noch, ihm zuzuhören, erwartete insgeheim aber schon sehnsüchtig die Ankunft von Mater und Pater, die mich von diesem Ort und all diesem Scheiß fortbringen würden. Irgendwann kam Len, um mir Bescheid zu geben. Mikey stöhnte, als ich ihm mit einer Umarmung den imaginären Reha-Staffelstab überreichte. Dann wurde er in sein Zimmer geführt, wo ihm lange Tage qualvollen Entzugs bevorstanden.
Endlich war der Zeitpunkt meiner Entlassung gekommen. Ich konnte nach Hause gehen. Als ich meine Klamotten zusammenpackte, steckte ich als allerletzte Habseligkeit das Tagebuch in meine Tasche.
Es war mir hier drin ein guter Freund und treuer Begleiter, aber ich bezweifle, dass wir uns noch einmal wiedersehen werden. Auch wenn das Leben nur rückblickend verstanden werden kann, so muss man es doch mit dem Blick nach vorn leben.
Ich verabschiede mich von Audrey. Die Kleine hat auch nur noch eine Woche vor sich. Ich sage ihr, dass ihre Strategie – nichts sagen und den Kopf unten halten – genau die richtige ist. Nachdem wir uns einen Abschiedskuss gegeben, uns liebevoll umarmt und unsere Nummern ausgetauscht haben, gehe ich zum Büro des Chefs, um offiziell entlassen zu werden.
Postskriptum – Tag 45 (Nachmittag)
Es stimmt, was die Leute immer sagen: Belausche niemals die Unterhaltungen anderer, weil du sonst etwas über dich hören könntest, was du lieber nicht gehört hättest. Ich saß also auf gepackten Koffern und wartete auf meine Eltern. Vorher wollte ich Tom noch seinen Carl-Rogers-Schinken zurückgeben. Als ich an seinem Büro ankam, stand die Tür einen Spalt weit offen. Ich hörte Amelias Stimme, die gerade etwas über Sick Boy sagte. Sein Name wurde zwar nicht genannt, aber aus dem Inhalt ihrer Worte war klar ersichtlich, dass es sich nur um ihn drehen konnte. — … sehr manipulativ. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass er seine eigene Propaganda glaubt.
Ich näherte mich der Tür, ahnend, dass ich gleich etwas Unschönes hören würde. Sie wechselte das Thema. — … typisch für Simon. Heute wird ja Mark entlassen … Ich erstarrte, als mein Name fiel.
— Um Mark mache ich mir auf lange Sicht keine Sorgen, sagte Tom mit seiner sanften Therapeutenstimme. — Wenn er bis sechs- oder siebenundzwanzig durchhält, wird bei ihm das Bewusstsein für die eigene Sterblichkeit einsetzen und die existenziellen Ängste verdrängen. Falls er bis dahin nicht an einer Überdosis stirbt oder sich HIV einfängt, wird er aus der Heroinsucht herauswachsen. Er ist zu intelligent und hat zu viele Möglichkeiten – irgendwann wird es ihm langweilig werden, dauernd den Loser zu spielen.
Ich klopfte kurz an die ohnehin schon offene Tür und trat sofort ein. — Mark …, sagte Schwester Vierauge und bekam sofort einen roten Kopf, während sich Toms Pupillen auf Fußballgröße weiteten. Beide versanken förmlich vor Scham im Boden. Weil ich sie dabei überrascht hatte, wie sie über mich sprachen? Weil Tom das Unwort »Sucht« benutzte? Weil er einen Patienten vollkommen unprofessionell und mit abwertendem Unterton als »Loser« bezeichnete? Was auch immer der Grund gewesen sein mochte, ich kostete ihre Beschämung einige Momente lang aus. Dann drückte ich Tom Die Entwicklung der Persönlichkeit in die Hand. — Interessante Lektüre. Solltest beizeiten mal einen Blick reinwerfen.
Anschließend machte ich auf dem Absatz kehrt und ging in den Aufenthaltsraum zurück, wo ich mich kurz von den anderen Spinnern aus der Gruppe verabschiedete. Es ging ziemlich schnell, weil ich mit den Neuen eh nichts am Hut hatte. Allein Audrey war mir wichtig gewesen, und der hatte ich bereits Adieu gesagt. Tom blieb im Büro. Er war offensichtlich zu beschämt, um eines seiner Abschiedskarten-Spielchen abzuziehen.
Ich schleppe mein Zeug raus vor die Tür und warte auf meine alten Herrschaften. Ich
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