Skandal um Lady Amelie
Erst die Schneiderin, die mit einigen neuen, zur Anprobe bereiten Kleidern erschien, erlöste sie davon.
Als sie später nach einem leichten Imbiss im Garten saßen und Zeichnen übten, kam Henry und meldete, dass Lord Elyot und Lord Seton baten, vorgelassen zu werden.
Sofort ließ Caterina Block und Stift fallen und sprang auf, doch Amelie sagte: „Nein. Henry, richte den Herren aus, dass wir heute nicht daheim sind. Und du, Caterina, setz dich bitte, und fahr mit deiner Arbeit fort.“
„Sehr wohl“, sagte Henry und ging, um seinen Auftrag auszuführen. Caterina allerdings stampfte mit dem Fuß auf und jammerte: „Tante Amelie! Wie kannst du? Du weißt doch, dass ich ihn sehen will. Ach, bitte, bitte, lass mich gehen …“
„Heute nicht, Liebes. Nimm meinen Rat an. Weißt du, es ist nicht gut, jetzt schon zu viel Interesse zu zeigen. Lass ihn eine Weile warten. Er wird sowieso nicht …“ Voller Bedauern, weil sie sich zu einer Unaufrichtigkeit gezwungen sah, biss sie sich auf die Lippe.
„Was wird er nicht? Magst du ihn nicht leiden?“
„Nun, natürlich ist er ein charmanter Gesellschafter, das gebe ich zu, doch solche Männer sind keine Unschuldslämmer. Sie neigen dazu … sagen wir … häufiger, als für eine Frau gut ist, ihre Favoritinnen zu wechseln. Leider sind sie Herzensbrecher.“
„Davor fürchte ich mich nicht“, sagte Caterina, eine verräterische Träne fortwischend. „Ich gab ihm mein Herz nicht, also kann er es auch nicht brechen, oder?“
„Du würdest dich wundern, wozu Männer imstande sind, Liebes.“
Zwar trug diese rätselhafte Bemerkung nichts zu Caterinas Zeichenkünsten bei, gab ihr jedoch einiges zu denken, wie zum Beispiel, welcher Art Lord Setons Interesse an ihr war. In ihrer Unerfahrenheit war sie sich gar nicht sicher, ob es ihm genauso viel ausmachte wie ihr, dass sie für ihn nicht zu sprechen war. Mit siebzehn betrachtete man dieses ganze Herauszögern als großes Risiko.
Ihre Ängste schwanden, als Lord Seton am nächsten Morgen in dem Phaeton seines Bruders erschien, um zu fragen, ob Miss Chester mit ihm eine Runde durch den Park fahren dürfe. Amelie konnte sich zu ihrem Leidwesen nicht verleugnen lassen, denn als er eintraf, stand sie gerade in der Halle und besprach etwas mit der Haushälterin. Also blieb ihr nur, ihn zu bitten, er möge gut auf ihre Nichte achtgeben und sie in zwei Stunden wieder heimbringen. Auf keinen Fall dürfe er ihr gestatten, selbst die Zügel zu nehmen.
Obwohl sie fürchtete, dass Lord Elyot, dem Beispiel seines Bruders folgend, ebenfalls vorsprechen würde, begab Amelie sich in ihr Arbeitszimmer, wo eine angefangene Malerei auf sie wartete. Kurze Zeit später ließ sie ein Klopfen an der Tür erschrocken zusammenfahren, doch es war nur der Hausbursche, der einen Brief brachte. Sie betrachtete die Adresse, die in einer ihr unbekannten, ungeübten Handschrift verfasst war.
Amelie legte den feinen Pinsel beiseite, brach das Siegel und faltete das Papier auf. Verwundert betrachtete sie das Gekritzel und suchte, ehe sie zu lesen begann, nach der Unterschrift. Erbleichend las sie: ‚Ihr höchst ergebener gehorsamster Diener, Ruben Hurst‘.
Entsetzt presste sie eine Hand auf ihren Mund. Wie sehr hatte sie gehofft, diesen Mann nie wieder sehen zu müssen, und obwohl sie seine Schrift nicht kannte, so wusste sie doch genug von ihm, um ihn bis an das Ende der Welt zu wünschen. Allerdings hatte sie auch geglaubt, dass er längst dort war.
Ihre Finger zitterten, als sie las:
Liebste, höchst verehrte Dame, bei meiner vor Kurzem erfolgten Rückkehr nach Buxton hörte ich von Ihrem Umzug, sehr zu meinem Kummer, da ich gehofft hatte, mit Ihnen unsere gemeinsame Zukunft besprechen zu können. Während ich dort im Hotel weilte, musste ich fest stellen, dass außer mir noch jemand Erkundigungen über Sie einholte, und zwar ein Bediensteter des Marquis of Sheen, aus Richmond, wo Sie, wie ich hörte, residieren. Ohne mein eigenes Interesse zu zeigen, versuchte ich von dem Mann den Grund für seine Nachforschungen herauszubekommen, erfuhr jedoch nur, dass es um eine persönliche Angelegenheit geht und er im Auftrag des ältesten Sohns des Marquis unterwegs ist. Was mir, Mylady, den Eindruck macht, als würden Sie, auch wenn es Ihnen nicht genehm ist, Ihre Vergangenheit nicht los, denn der Mann befragte Ihre früheren Nachbarn. Ich nehme an, er wird bald auf dem Weg nach Manchester sein, wohingegen ich Buxton morgen mit der Postkutsche
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